Mikado-Fahndung: Beinahe Existenz durch Kreditkartenabbuchungen zerstört

Artikelstatus: Fertig 22:36, 4. Mär. 2007 (CET)
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Wiesbaden (Deutschland), 04.03.2007 – Im Rahmen der „Mikado“-Fahndung (Wikinews berichtete) war nach Angaben der „FAZ“ und des Untergrund-Magazins „Gulli“ auch das Unternehmen eines Unschuldigen betroffen. Kritiker werfen der Polizei eine „misslungene Rasterfahndung“ vor.

Kreditkarten

Wie die „FAZ“ und „Gulli“ berichteten, habe bereits am 15. Dezember 2006 ein Großaufgebot der Polizei vor dem Privathaus eines 67-jährigen Wiesbadeners gestanden, das dem Verdacht nachgegangen sei, dass der Mann kinderpornografische Schriften verbreitet haben solle. Als die Beamten bereits sämtliche Akten, Computer und andere Speichermedien des Unternehmers beschlagnahmen wollten, erzählte der 67-Jährige zufällig von mysteriösen Kreditkartenabbuchungen. Geistesgegenwärtig rief der Unternehmer eine Kundenbetreuerin der Commerzbank, bei der er seine Kreditkarte hat, an. Dort forderte er die Unterlagen über eine anderthalb Jahre zurückliegende Abbuchung mit seiner Kreditkarte an. Die Kundenbetreuerin faxte dem 67-jährigen Unternehmer die Papiere zu. Als der Mann den Polizisten die Einsprüche gegen die Abbuchungen vorlegte, wurde die Beschlagnahmung abgebrochen.

Nach Angaben des 67-jährigen Unternehmers schreibt seine Firma in der Vorweihnachtszeit „300 Rechnungen am Tag“. Falls die Polizei die Computer beschlagnahmt hätte, hätte sich der Unternehmer ruiniert gesehen.

Der Unternehmer erzählte später der FAZ, dass er am 9. Mai 2005 erstmals mysteriöse Kreditkartenabbuchungen in der Höhe von 15,58 Euro (umgerechnet 19,95 US-Dollar) auf seiner Abrechnung entdeckt habe. Diese seien von der Firma „CCBill.com“ am 2. Mai 2005 abgebucht worden. Die Summe entsprach genau der Summe, die bei einer kinderpornografischen Website für angeblich von ihm und seiner Frau gebuchte Bilder und Filme fällig war. Vom 2. bis 9. Mai 2005 waren insgesamt sieben Beträge von 7,84 Euro (etwa 10 US-Dollar) bis 38,29 Euro (etwa 50 US-Dollar) auf dem Dokument vermerkt.

Die Kreditkarte des Unternehmers wurde bereits am 13. Juni 2005 gesperrt, da sie per Internet missbraucht wurde. Dennoch wurden später noch Beträge zwischen sieben und 90 Euro abgebucht. Nachdem die Karte am 14. Juni 2005 völlig gesperrt worden war, tauchten keine weiteren Daten der Karte in Kontoauszügen auf. Die Karte der Ehefrau des Unternehmers wurde bereits seit dem 17. Mai 2005 für Abbuchungen aus Amerika und dem europäischen Ausland verwendet. Bis zur Sperre dieser Karte am 18. August 2005 wurden dort 180 Abbuchungen vorgenommen. Der Unternehmer versäumte es, frühzeitig Informationen über die abbuchenden Unternehmen einzuholen, darunter auch 89 Euro von der Website http://www.smart-privacy.com/, die laut DNS-Abfrage seit dem 2. Januar 2007 nicht mehr existiert. Die Firma war bereits zuvor aufgefallen, als sie Abbuchungen für eine kinderpornografische Website vorgenommen hatte. Der Unternehmer gab an, weder mit seiner Tochter noch mit Firmenmitarbeiterinnen darüber gesprochen zu haben. Er „selbst nutze das Internet doch gar nicht“, so der 67-Jährige. Die abgebuchten mehr als 2.500 Euro wurden dem Unternehmer von der Commerzbank erstattet.

Auf welchen Wegen die amerikanische Firma „CardSystem Solutions“ die Kreditkarten erhielt, ist ungeklärt. Zwar wickelt diese unter anderem die Daten der MasterCard ab, jedoch nur in den Vereinigten Staaten von Amerika, in denen der 67-jährige Unternehmer nach eigenen Angaben seit 20 Jahren nicht mehr war. Auch im Internet habe er die Karte nie für Bestellungen eingesetzt. Er habe die MasterCard nur an Tankstellen benutzt. Eine Untersuchung der Commerzbank vom Juli 2005 ergab, dass „CardSystem Solutions“ nur an Datensätze deutscher Kunden gelangen konnte, wenn diese „im fraglichen Zeitraum in den USA Umsätze im Handel oder in Onlineshops“ getätigt hätten. Durch eine Werbe-E-Mail wurde ein Mitarbeiter von „MasterCard USA“ auf die kinderpornografische Website aufmerksam. Dieser verständigte deutsche Mitarbeiter, die wiederum die Polizei in Kenntnis setzten.

Der Unternehmer äußerte, dass er besonders wütend über die Informationspolitik der Commerzbank sei. Diese habe ihn „15 Monate schmoren lassen“. Nun wolle er mit seinem Frankfurter Anwalt eine Sammelklage in den Vereinigten Staaten vorbereiten; die Daten seien bei einem Geschäftspartner der Bank gestohlen worden. Der Anwalt schätzt den Streitwert der Sammelklage auf 80 bis 100 Millionen US-Dollar. „Ist die Kugel erst aus dem Lauf, hält sie selbst der Teufel nicht mehr auf“, so die Bemerkung des Unternehmers zur Sammelklage, für die er per Zeitungsanzeige weitere Opfer der Kreditkartenbetrüger sucht.

Weitere rechtliche Schritte

20 Kreditkarteninhaber wollen jetzt gegen die ihrer Ansicht nach in diesem Fall unrechtmäßige Rasterfahndung gegenüber 22 Millionen Kreditkarteninhabern gerichtlich vorgehen, berichtete die Onlineausgabe der „Volksstimme“, deren Printausgabe in Magdeburg erscheint. Einer der Kläger argumentierte in einem Interview der Zeitung, eine Rasterfahndung hätte nur per Gerichtsbeschluss durchgeführt werden dürfen. Aufgrund der für eine solche Fahndung geltenden harten Bedingungen wäre ein solcher Beschluss jedoch kaum zustande gekommen. Deshalb hätten die Staatsanwaltschaft Halle und das LKA Sachsen-Anhalt mit der Aktion „Mikado“ gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen.

Die Fahndung nach dem philippinischen Betreiber der kinderpornografischen Website dauert weiterhin an.

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Quellen