Zeitungsaffäre in Münster: Proteste, Abokündigungen und Manipulation bei Wikipedia
Artikelstatus: Fertig 18:14, 2. Feb. 2007 (CET) Bitte keine weiteren inhaltlichen Veränderungen vornehmen, sondern einen Folgeartikel schreiben. |
Münster (Deutschland), 02.02.2007 – Über die Vorgänge im eigenen Haus hatte die „Münstersche Zeitung“ zunächst nicht berichtet. Mehrere Tage erfuhren die Leser – sofern nicht aus anderen Quellen informiert – nicht, dass die Verlagsleitung von einem Tag auf den anderen die komplette Lokalredaktion ausgetauscht hatte. Schon Monate zuvor war die Redaktion in einen Anbau des Druckgebäudes am Stadtrand verlegt worden und musste dort in der Kantine und sogar Umkleideräumen arbeiten. Als Gründe wurden sowohl eine geplante Vermietung der in attraktiver Innenstadtlage befindlichen vorherigen Räume genannt als auch eine notwendige Renovierung. Genutzt wurden die Räume allerdings zum Aufbau der neuen Redaktion. Anders als die alte Redaktion, die nach Ansicht des Verlagshauses Lensing die Erfordernisse der Zukunft nicht erfüllen könne, arbeitet die neue Redaktion im modernen „Newsdesk“-Verfahren. Dabei sitzen die Redakteure der verschiedenen Ressorts an einem Tisch und entscheiden gemeinsam über die Blattinhalte. Dies soll mehr Transparenz schaffen, hat nach Ansicht von Kritikern aber vor allem Kostensenkungen zum Ziel, da in einem solchen System Artikel weitgehend von schlechtbezahlten freien Mitarbeitern beigesteuert würden.
Erst nach Tagen des Schweigens – und nach Berichten in anderen Zeitungen, Branchendiensten und im Fernsehen – erklärte sich die Leitung der Zeitung in der vergangenen Wochenendausgabe. In einem Interview – welches allerdings ohne Nachfragen und ohne Nennung des Gesprächspartners erschien – verteidigte Verleger Lambert Lensing-Wolff die Umstrukturierung: Die Zeitung sei „moderner und mutiger“ geworden, der Markt habe dies verlangt. Auch hätten Umfragen dem bisherigen Lokalteil keine Zukunft beschieden. Die Entscheidung gegen die alte Redaktion sei ihm „sehr schwer gefallen“. Auf den vielfach kritisierten Umgang mit den Alt-Mitarbeitern und die weiteren Umstände ging der Artikel nicht ein. Werner Hinse vom Presseverein Münster-Münsterland sagte, das Vorgehen des Verlegers habe die Bürger Münsters empört.
Münsters Bürger gingen auf ihre eigene Weise mit dem Eklat um: Mehrere Vereine ließen die neuen Redakteure bei Veranstaltungen unter Hinweis auf den Vorgang abblitzen. Andere Bürger legten Protestflugblätter aus oder kündigten ihre Abos der Münsterschen Zeitung. Die Angaben über den Umfang der Kündigungen gehen aber weit auseinander: Während Verlagskritiker von mehr als 600 Kündigungen sprachen, sind es nach Verlagsangaben vom Wochenanfang bislang nur 104 Kündigungen. Auch in Internetforen gab es Reaktionen: So berichteten Benutzer davon, dass sie Bekannte zur Abokündigung bewegt hätten, andere riefen zum Boykott auf. Ebenfalls machten E-Mails mit Boykottaufrufen die Runde; in einem Fall hatte sogar eine Mitarbeiterin eines großen Krankenhauses eine solche Aufforderung an sämtliche Kollegen verschickt. Bei einem Gewerkschaftsprotest am Wochenende unterschrieben etwa 1.000 Menschen die an den Verleger gerichtete Forderung „Lassen Sie die 'MZ'-Kollegen wieder für Münster schreiben!“. Den verbliebenen Mitarbeitern gab der Verlag unterdessen einen „Argumentationsleitfaden“ für den Umgang mit verärgerten Lesern und Bürgern an die Hand. In dem ohne Autorenangabe verbreiteten Werk finden sich offenbar die Argumente der Verlagsleitung: Der Schritt sei nötig gewesen, um einen „deutlichen Arbeitsplatzabbau“ zu vermeiden. Der alten Redaktion wird in dem Thesenpapier attestiert, man habe „über Jahre die Chance, sich zu bewähren“, nicht genutzt. Ein früherer Redakteur bezeichnete diesen Vorwurf als „Tritt ins Gesicht“.
Möglicherweise trat der Verlag auch an anderer Stelle in Aktion: In der freien Enzyklopädie „Wikipedia“ wurde durch einen anonymen Nutzer im Artikel zur „Münsterschen Zeitung“ kurzerhand ein erst vor kurzem eingefügter Abschnitt über die Umstrukturierung komplett entfernt. Die dazu verwendete IP-Adresse 212.101.204.82 trägt unter anderem den Hostnamen „mail-gw01.medienhaus-lensing.de“ und gehört zum Verlag Lensing-Wolff. Der Text wurde rasch wieder eingefügt und der Vorgang publik gemacht. In den folgenden Tagen wurde der Abschnitt dann von „privaten“ IP-Adressen mehrfach erneut entfernt – und stets wiederhergestellt. Auch die Kritiker sind aktiv: So wurden ebenso Verschärfungen des Textes vorgenommen – und gleichermaßen rückgängig gemacht. Seit wenigen Tagen ist der Artikel nun bis Ende Februar für die Bearbeitung durch unangemeldete Benutzer gesperrt. Seitdem ist erst einmal Ruhe eingekehrt.
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Quellen
- die tageszeitung online: „Kampf um die Meinungshoheit“ (Regionalausgabe NRW) (02.02.2007)
- de.wikipedia.org: „Münstersche Zeitung“ (Exemplarische Änderung des Wikipedia-Artikels durch Benutzer in Münster) (31.01.2007)
- Spiegel Online: „Münster: Eine Stadt kämpft für ihre Zeitung“ (30.01.2007)
- Spiegel Online: „‚Münstersche Zeitung‘: Verleger stellt ganze Redaktion kalt“ (24.01.2007)
- junge Welt Online: „Zeitungsverleger spielt Wildwest“ (24.01.2007)