Winnenden: Der Tag nach dem Amoklauf
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Winnenden / Wendlingen am Neckar / Stuttgart / Berlin (Deutschland), 13.03.2009 – Am vergangenen Mittwoch lief ein 17-jähriger Auszubildender in Baden-Württemberg Amok und tötete 15 Menschen. Am Ende richtete er sich selbst.
Der Ablauf
Am Tag nach dem Amoklauf werden immer mehr Details über den Hergang und die Hintergründe der Tat des 17-Jährigen bekannt. Der Auszubildende entwendete im Elternhaus in Leutenbach eine Waffe seines Vaters, eine Neun-Millimeter-Beretta, und eine größere Menge Munition. Der Vater ist Mitglied in einem Schützenverein und hatte 14 Waffen in einem Waffenschrank und eine weitere im Schlafzimmer deponiert. Letztere war die entwendete Beretta.
Das erste Ziel des jugendlichen Täters war seine ehemalige Realschule in Winnenden. Hier ging er in zwei Klassenräume und schoss auf mehrere Schüler und Lehrer. Außerdem ging er in den Physikraum, wo er eine Lehrerin hinter dem Experimentiertisch niederstreckte. Am Ende fand die Polizei sieben tote Schüler und eine tote Lehrerin in den Räumen. Einige der Opfer hatten noch ihre Schreibutensilien in der Hand. Zwei weitere Schülerinnen erlagen ihren Verletzungen auf dem Weg ins Krankenhaus. Besonders fällt auf, dass der Täter zielgerichtet vor allem Mädchen tötete.
Bereits 09:33 Uhr erreichte der erste Notruf die Polizei, und drei Minuten später trafen die ersten Beamten in der Schule ein. Dieses schnelle Handeln hat vermutlich noch mehr Tötungen verhindert. Als die Polizei eintraf, flüchtete der Täter. Er schoss dabei sowohl auf die Beamten als auch auf weitere Personen, wobei er zwei weitere Lehrerinnen tötete.
Nachdem der Täter das Schulgebäude verlassen hatte, flüchtete er über das Gelände der angrenzenden psychiatrischen Klinik. Hier erschoss er einen Mitarbeiter des Klinikums. Seine Flucht führte ihn weiter in Richtung Innenstadt von Winnenden, wobei er einen weiteren Passanten verletzte. Hier entführte er einen 41-jährigen Autofahrer in seinem VW Sharan. Im folgenden führte die Flucht in dem Auto über die Bundesautobahn 81 sowie Bundesstraßen über Tübingen und Nürtingen. Der Täter redete auf der Autobahn mit dem Entführungsopfer und fragte ihn, ob er die Menschen in den umliegenden Autos erschießen solle. Am Autobahnkreuz Wendlingen, wo ein Kontrollpunkt der Polizei eingerichtet war, vollführte der entführte Autofahrer ein Bremsmanöver, in dessen Folge das Auto im Grünstreifen zum Stehen kam. Diesen Moment nutzte das Entführungsopfer zur Flucht.
Der Täter flüchtete daraufhin in das nahegelegene Wendlinger Industriegebiet Wert. Hier erschoss er gegen 12:30 Uhr einen Mitarbeiter und dessen Kunden in einem Autohaus. Die Polizei stellte den 17-Jährigen am Autohaus und lieferte sich mit ihm einen Schusswechsel. Bei diesem Schusswechsel wurden zwei Polizeibeamte schwer verletzt, außerdem wurde der Täter durch Polizisten zweimal im Bein getroffen. Daraufhin richtete dieser seine Waffe gegen sich selbst und tötete sich durch einen Kopfschuss. Der Täter schoss nicht nur auf die Polizisten, sondern auch auf Mitarbeiter benachbarter Gebäude.
Die beiden schwerverletzten Polizisten sind heute stabilisiert, aber weiterhin auf der Intensivstation. Drei Schüler befinden sich noch in umliegenden Krankenhäusern, aber außer Lebensgefahr.
Der Rektor der Schule versuchte, durch die verschlüsselte Durchsage „Frau Koma kommt“ seine Mitarbeiter zu warnen. Die Schüler wurden daraufhin aufgefordert, die Fenster und Türen zu schließen und sich auf den Boden in ihren Klassenzimmern zu setzen. Später evakuierte die Polizei das Schulzentrum, in dem sich die Albertville-Realschule und ein Gymnasium mit zusammengenommen zirka 1.000 Schülern befinden.
Ein Team aus Seelsorgern, Psychologen und Ärzten der Polizei und des Deutschen Roten Kreuzes kümmerten sich später um die Schüler und Lehrer. Die psychologische Betreuung wurde am heutigen Donnerstag durch 50 Schulpsychologen fortgesetzt. Unterstützt wird das Team dabei durch Jugend- und Schulpsychologen aus angrenzenden Bundesländern.
Der Schulbetrieb in der betroffenen Realschule ist derzeit eingestellt. Zum Einen wegen der psychologischen Belastung, zum Anderen, weil die Polizei die Spurensicherung noch nicht abgeschlossen hat.
Auch die betroffenen Polizeibeamten werden psychologisch betreut. Die Streifenpolizisten in Baden-Württemberg sind geschult worden im Umgang mit Amokläufern.
Durch Anrufe besorgter Eltern, Angehöriger, Schüler und Lehrer wurde das Mobiltelefonnetz in Winnenden überlastet.
Die Polizei war mit zirka 1.000 Einsatzkräften, sowie Hubschraubern und Spürhunden im Einsatz. Sie sperrten sowohl das Schulgelände als auch teilweise die Innenstadt von Winnenden weiträumig ab. Zudem wurden Kontrollpunkte auf umliegenden Straßen eingerichtet.
Am Abend fand um 20:00 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst in der Winnendener katholischen Kirche St. Karl Borromäus statt. Ein weiterer Gottesdienst ist für heute um 19:00 Uhr in der Winnendener Schlosskirche geplant.
Die Eltern des Täters wurden vernommen. Derzeit befinden sie sich nicht zu Hause, sondern an einem anderen geheimgehaltenen Ort. Sie befinden sich nicht unter Polizeischutz.
Stellungnahmen
Viele Politiker zeigten ihre große Betroffenheit von der Tat. Darunter der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger, der vor Ort sagte: „Betroffen ist ganz Baden-Württemberg. Die Schule, einen Ort der Zukunft, der Bildung und Erziehung so zu stören und zu zerstören, ist besonders gemein.“ Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte sie sei, „[…] entsetzt, bestürzt und fassungslos über das, was […] an der Albertville-Schule in Winnenden geschehen ist“. Bundespräsident Horst Köhler teilte mit, er und seine Frau seien in Gedanken bei den Opfern und deren Familien und Freunden. „Wir fühlen uns mit ihnen in diesen schweren Stunden tief verbunden.“
Die Bundesregierung ordnete für den heutigen Donnerstag Trauerbeflaggung an allen Gebäuden des Bundes an. Dasselbe wurde auch von Bayern und Baden-Württemberg für deren Landesbehörden angeordnet.
Die Polizei vermutet, dass das schnelle Eintreffen der Polizei Schlimmeres verhindert hat. Ralf Michelfelder von der Polizei Waiblingen berichtete, dass sich auf dem „Fluchtweg unzählige unabgefeuerte Patronen“ befanden, und gerade diese Anzahl lässt vermuten, dass der Täter noch mehr in der Schule vorhatte. Der Innenminister von Baden-Württemberg Heribert Rech teilte heute mit, dass insgesamt 112 Schüsse durch den Täter abgegeben wurden. Er besaß am Ende noch Munition für weitere 109 Schuss.
Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagte, „dass wir erkennen müssen, dass es letzte Sicherheit nicht gibt; dass man nicht alles einfach abwenden kann“. Er sieht kaum Möglichkeiten, solche Amokläufe durch Gesetzesverschärfungen zu verhindern oder vorzubeugen.
Der Täter
Der Täter war ein 17-jähriger Auszubildender aus dem Nachbarort Leutenbach. An der Albertville-Realschule absolvierte der Teenager im Vorjahr seine Mittlere Reife. In Waiblingen hat er nach dem Abschluss eine berufsvorbereitende Schule besucht. Sein Vater besitzt mehrere Waffen.
Als Schüler fiel der 17-Jährige in seiner Schulzeit nicht auf. Er wird als introvertiert beschrieben. Sein Auftreten soll freundlich gewesen sein. Der Täter trieb Sport, unter anderem betrieb er Kraftsport und spielte Tischtennis.
Der Täter nahm außerdem in den Räumen des Schützenvereins seines Vaters Schießübungen vor, war aber nicht Mitglied im Verein.
Im Internet wird auch berichtet, dass der Täter wahrscheinlich unter Mobbing gelitten habe. Dieser Umstand wurde jedoch noch nicht von offizieller Seite bestätigt. Auch sonst ist noch kein Motiv ersichtlich. Fakt ist nur, dass der 17-Jährige in der Schule vor allem Frauen und Mädchen als Opfer wählte und diese größtenteils mit gezielten Kopfschüssen tötete.
Die Polizei wertete die Daten auf dem Computer des Täters aus und fand unter anderem den Ego-Shooter Counter-Strike dort installiert. Auch pornografisches Material wurde gefunden, jedoch sei dies weder in der Menge noch anderweitig aus dem Rahmen gefallen. Daneben fand man auch schriftliche Aufzeichnungen mit Titeln, wie zum Beispiel „Tot aus Spaß“.
Des Weiteren sind bei der Hausdurchsuchung Horror- und Gewaltfilme gefunden worden, aber nicht in großer Menge. Laut Aussage der Eltern schaute der Jugendliche auch gerne Unterhaltungsfilme.
Laut Innenminister Heribert Rech hatte der Täter in der Nacht zuvor die Tat in einem Chat-Raum (IRC) angekündigt, jedoch auch geschrieben, es sei nur ein Scherz. Diese Information stellte sich später jedoch als falsch heraus, die angebliche Ankündigung wurde erst im Nachhinein erfunden und entsprechende Screenshots des Imageboards gefälscht. Auch wurde auf der heutigen Pressekonferenz bekannt, dass der Jugendliche bereits wegen Depressionen in psychiatrischer Behandlung war, diese auch in Winnenden in der bereits genannten Klinik für Psychiatrie und Neurologie, auf deren Gelände ein Handwerker erschossen wurde, fortsetzen sollte, es aber nicht tat.
Polizeilich war der Täter früher noch nicht in Erscheinung getreten.
Ein Bekennerbrief oder -video wurde noch nicht gefunden. Dennoch vermutet die Polizei, dass der Amoklauf nicht spontan, sondern geplant war.
Neben den klassischen Medien wie Fernsehen, Radio und Nachrichtenportalen im Internet „berichtete“ auch das Portal Twitter über das Ereignis.
In Twitter haben Nutzer die Möglichkeit, Kurznachrichten via Internet, aber auch via SMS vom Handy aus ins Netz zu stellen. Die erste Nachricht über den Amoklauf ging gut eine Stunde nach dessen Beginn, etwa gegen 10:30 Uhr, ein. Daraufhin meldeten sich viele Nutzer und trugen Informationen aus Nachrichtenportalen sowie Nachrichtensendungen zusammen. Zum Teil meldeten sich auch Ortsansässige oder Mitglieder aus dem Ausland, die ihr Beileid bekundeten.
Twitter stellte eine solche Fülle an Informationen – teils sehr schnell – zur Verfügung, dass sich etablierte Nachrichtensender auf Twitter bezogen und auch über Twitter in Bezug auf den Amoklauf berichteten. Im Gegensatz zu vielen Nachrichtensendern sind die Informationen bei Twitter jedoch oft nicht nachgeprüft und werden nicht gefiltert. So waren auch Fotos und Videos des Täters sowie oftmals dessen voller Name in Twitter aufgetaucht. Kritisiert wurde zudem, dass Twitter keine Primärquelle darstellte, sondern eher durch Zahlenjonglieren und die Vielzahl an Informationen für Verwirrung sorgte.
Weblinks
Themenverwandte Artikel
Quellen
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- swr.de: „16 Tote - Amokläufer hatte größeres Blutbad vor“ (11.03.2009)
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- tagesspiegel.de: „Das erste Twitter-Ereignis in Deutschland“ (11.03.2009)
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- heute.de: „Rektor warnte vor dem Amokläufer“ (11.03.2009)
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- bundesregierung.de: „Ein Tag der Trauer“ (11.03.2009)
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- news.yahoo.com: „Mädchen berichtet von Mobbing gegen Amokläufer“ (11.03.2009)
- n24.de: „Motive des Amokläufers liegen im Dunkeln“ (11.03.2009)
- baden-wuerttemberg.de: „Erste Hinweise auf Motiv des Amokläufers - Ermittlungen gegen Vater“ (12.03.2009)
- krautchan.net: „Erklärung von krautchan.net zur angeblichen Ankündigung des Amoklaufs“ (12.03.2009)
- spiegel.de: „Liebe Presse, ich weiß doch nichts von dem Verrückten...“ (11.03.2009)