Welche Universität braucht die Wissensgesellschaft? – Diskussion in Tübingen

Veröffentlicht: 12:01, 31. Jan. 2008 (CET)
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Tübingen (Deutschland), 31.01.2008 – An der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen fand eine hochkarätig besetzte Diskussion zur Universität im 21. Jahrhundert statt. Anlass war das Abschlusssymposium für den Historiker Dieter Langewiesche, der sich zum Jahresende in einem Thesenaufsatz in der Süddeutschen Zeitung bereits des Themas angenommen hatte.

Prof. Dieter Langewiesche bei seinem Abschiedssymposium am 26.01.2008. Bild: Wettach.

Unter der Moderation von Martin Duerry, dem Stellvertretenden Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, der in Tübingen studiert hat, diskutierten mit Professor Langewiesche der ehemalige Direktor der Alexander von Humboldt-Stiftung und Germanist Wolfgang Frühwald, der ehemalige Direktor der IBM Deutschland und Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und jetzige VfB-Präsident Erwin Staudt, selbst studierter Volkswirt, die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, Gesine Schwan, sowie der in Florenz und Bielefeld lehrende Historiker Heinz-Gerhard Haupt.

Hauptthemen der Diskussion waren der Bologna-Prozess mit der Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge, die teils massiven Veränderungen durch die Exzellenzinitiative des Bundes sowie die nötigen Veränderungen, wenn es gilt, wie Wolfgang Frühwald forderte, „Universität noch einmal ganz neu zu denken“. Überraschend für Beobachter wie den Tübinger Literaturwissenschaftler Jürgen Wertheimer war die Einigkeit, mit der die unterschiedlichen Teilnehmenden des Podiums die Umsetzung des Bologna-Prozesses als ungeeignet für die Universität der Zukunft verurteilten. Nicht nur die Unterschiede zwischen Fachhochschulen und Universitäten verschwänden auf diese Weise, sondern auch die Identität der Universitäten an sich, die zu Einrichtungen rascher Massenabfertigung werden könnten. Raschere Abschlüsse seien wünschenswert, so die Teilnehmer, doch mit einem Blick in die Forschung, mit projektorientiertem Arbeiten und ergebnisoffenen Fragestellungen. Bei zu kurzen, zu dichten Planungsrahmen seien die gewünschten Auslandsaufenthalte, so eines der Bonmots, nur noch von Württemberg nach Bayern möglich. Zudem würden Universitätswechsel, anders als geplant, durch völlig unvereinbare Bachelor-Studiengänge selbst in nahegelegenen Universitäten wie Bielefeld und Paderborn fast unmöglich gemacht, wie Heinz-Georg Haupt kritisierte.

Anders als gedacht wirkt auch die Exzellenzinitiative des Bundes in einer Weise, dass die mit Geld und damit Stellen für eine begrenzte Zeit bedachten Universitäten jetzt noch stärker sparen müssen als andere – weil jetzt schon Rücklagen gebildet werden müssten für diese Stellen, um sie nach dem Wegfall der Exzellenzgelder weiter finanzieren zu können. Andere Stellen und vor allem andere Fächer an den entsprechenden Universitäten würden jetzt nach dem 50-40-10-Schlüssel behandelt, wie Gesine Schwan erklärte: Nur 50 Prozent der Stellen erhielten Bestandsschutz, 40 Prozent der Stellen würden nur verlängert, wenn es dafür ausdrückliche Gründe gebe, und 10 Prozent der Stellen würden sofort wegfallen. An Universitäten mit mehr Geld hätten also jetzt viele Institute dadurch weniger Geld als zuvor. Moderator Martin Doerry bezeichnete das jedoch als „Jammern auf hohem Niveau“.

Am Rande spielte auch die Wiederkehr der Traditionen eine Rolle: Sind die Rituale und Doktorfeiern nur ein Marketing-Element der Bindung Ehemaliger als Alumni und gewünschte Spender? Staudt begrüsste das und sprach sich dafür aus, während andere die erneut eingeführten und neu erfundenen Rituale als nur wenig originell bezeichneten. Für die Kampagne der 1968-er Studenten, „Unter den Talaren Muff von 1.000 Jahren“, habe es ja tatsächlich handfeste Gründe einer unseligen fortgesetzten Tradition der Zeit und der Forschung und Lehre des Nationalsozialismus gegeben. Der ehemalige Direktor der Humboldt-Stiftung, Wolfgang Frühwald, wies darauf hin, dass entscheidend für die enge Bindung US-amerikanischer Hochschulabsolventen an ihre Hochschule die Tatsache sei, dass diese sich in vielen Fällen auch ganz direkt um die Jobsuche für ihre Absolventen bemühe. Wer seiner Universität aber nicht nur ein Zeugnis, sondern auch seinen Job verdanke, sehe sich viel mehr in der Pflicht, als Alumnus von diesem Verdienst auch etwas zurück zu geben. Das, so Frühwald, ginge dann auch ohne bunte Hüte, die in die Luft fliegen. Für bessere und raschere Abschlüsse, so auch Professor Langewiesche, zu dessen Abschied dieses Symposium gegeben wurde, sei auch eine bessere personelle Betreuung der Studierenden nötig.

Kostenneutral, da waren sich die Teilnehmenden an der Diskussion einig, sei eine bessere Universität mit exzellenter Forschung, mehr Abschlüssen und jüngeren Absolventen nicht zu haben. Ohne ein partnerschaftliches Verhältnis mit den Studierenden, das nicht zur reinen Kundenbeziehung wird, auch nicht.

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Quellen

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