Von der „Regenschirm-Revolution“ zum „Bürgerkrieg“ ?

Veröffentlicht: 05.10.2014, 04:01 (CEST)
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Hongkong (China), 05.10.2014 – Seit etwas mehr als einer Woche dauern nun die Proteste gegen die Wahlrechtsreform in Hongkong in der Form von Straßenblockaden an. Ein Ende und damit eine Lösung ist immer noch nicht in Sicht. Die Blockierer, die aus einer Vielzahl von Gruppen stammen - Occupy Central ist nur die bekannteste von ihnen - hatten in dieser Woche zunächst mit der Polizei zu kämpfen, die Pfefferspray und Tränengas gegen sie einsetzte, dann jedoch eine Nicht-Konfrontationstaktik einschlug. Der chinesische Nationalfeiertag und mit ihm mehrere freie Tage brachten der Bewegung neuen Zulauf. Der neue Gegner wurde dann das Wetter, das mit heftigen Gewitterregen das Leben auf der Straße für die Blockierer nicht angenehm machte und den Protesten den Namen Regenschirm-Revolution einbrachte.

In Hongkong sind die Feiertage nun vorbei. Eigentlich sollte das normale Leben in der Stadt wieder seinen Lauf nehmen, doch die Proteste verhindern dies vielfach. Auch wenn die Zahl der Protestierer nun kleiner geworden ist, die Blockaden werden aufrecht erhalten. Bilder vom 30. September, dem vergangenen Dienstag, dem letzten Arbeitstag vor dem Feiertag, verdeutlichen das Problem. Auf der Connaught Road im Bezirk Central, wo Regierungsviertel und Bankenviertel so etwas wie das Herz der Metropole bilden, sieht man nur wenige Fußgänger, wo sonst eine endlose Autoschlange neben überfüllten Fußwegen zu sehen ist.

Connaught Road im Bezirk Central am 30. September 2014:

Organisierte Reisegruppen aus der Volksrepublik wurden über die Feiertage aus der Stadt ferngehalten - ein schwerer Schlag für die Wirtschaft der Stadt, die so fraglos Millionen an Hongkong-Dollar nicht umsetzte. Hinter dem Vorwand der Sicherheit für die Reisenden, die von chinesichen Reiseveranstaltern gerne hochgehalten wird, steht dabei die Angst der Regierung in Peking, es könnten zu viele Informationen über die Proteste ungefiltert zurückfluten und womöglich Begehrlichkeiten im eigenen Gebiet wecken. Aber neben scharfer Informationskontrolle und blanken Wirtschaftszahlen stehen auch reale menschliche Schicksale hinter den Auswirkungen der Proteste.

Die Proteste betreten jetzt in mehrerer Hinsicht Neuland, denn wenn es erst so aussah, als ob die Regierung von Hong Kong mit Rückendeckung und auf Anweisung der Regierung in Peking die Demonstrationen mit Gewalt beenden wollte, sah es im Folgenden so aus, als ob man sich auf eine Hinhaltetaktik, quasi ein Aushungern der Proteste, verlegte, nur um dann erneut die Taktik zu wechseln und kurzfristig Gespräche anzusetzen. Aber auch dieses Gesprächsangebot, so vielsprechend wie vage es auch war, ist nun schon wieder Geschichte. Die Demonstranten haben eine vorübergehend gezeigte Bereitschaft zum Gespräch zurückgezogen, nachdem es im Verlauf des 3. Oktober zu Auseinandersetzungen zwischen den Demonstranten und „Bürgern“ gekommen war. Schauplatz dieser Auseinandersetzungen war die Blockade im Bezirk Mong Kok. Mong Kok ist ein reines Geschäftsviertel auf dem Festland und durch das Meer von der Insel Hongkong mit dem Bezirk Central getrennt. Dort finden Regierung und Konzerne Wege, die Proteste zu umgehen und ihren Alltag, so gut es geht, aufrecht zu erhalten. Aber in Mong Kok machen sich die Proteste für sehr viele Menschen sehr viel direkter bemerkbar, denn die Proteste treffen hier ganz normale Menschen, die zur Arbeit wollen, sowie kleine Geschäfte. Die einen können ihrer Arbeit nicht in gewohnter Weise nachgehen, die anderen machen weniger Umsatz, weil die Menschen nicht wie gewohnt kommen. Das provoziert Ärger auf die Demonstranten bei diesen „Bürgern“ - scheint es. Aber sind es wirklich nur ganz normale „Bürger“, die hier ihrer Frustration über die gestörten Abläufe Luft machen, oder sind es bezahlte Provokateure?

Auseinandersetzungen in Mong Kok am 3. Oktober 2014:

Die Demonstranten sind sich sehr wohl bewusst, dass sie in Hongkong, vor allem aber in China nur eine sehr kleine Zahl sind. Wo steht die schweigende Mehrheit der Hongkonger und was können einige tausend Demonstranten gegen die allein 80 Millionen Mitglieder der KP Chinas sagen, die ja letztendlich auch für deren Regierungspolitik stehen? Und gibt es vielleicht noch eine dritte Partei, die hier die Geduld verliert - die Hongkonger Unterwelt, die ihre Geschäfte mit illegalem Glücksspiel, Prostitution und Unmengen an gefälschten Markenprodukten lange genug gestört sieht und nun wieder Normalität verlangt? Es ist eine undurchsichtige Mischung, in der Anschuldigungen genauso wie Handgreiflichkeiten ausgetauscht werden. Die Demonstranten werden als egoistisch beschimpft, und es kommt zu Handgemengen und Verletzten. Auf der anderen Seite heißt es, dass die Protestgegner nicht aus Hongkong kämen, sie sprächen Mandarin - im Gegensatz zum Hongkonger Canton-Dialekt- und ihr Auftreten wäre nicht das zurückhaltend freundliche von Hongkonger Bürgern; sie wären bezahlt worden um Unruhe zu stiften, heißt es bei den Blockierern. Das ist übrigens ein Vorwurf, der auch schon im Zusammenhang mit einer großen Pro-Regierungsdemonstration erhoben worden war. Aber selbst wenn die Gegen-Demonstranten von der Hongkonger oder Pekinger Regierung bezahlt werden, in dieser Situation steht die Polizei jetzt plötzlich zwischen zwei Seiten an Protestierern und versucht, diese von einander fernzuhalten - meistens jedenfalls -, denn auch hierzu gibt es andere Darstellungen.

Erleben die Proteste jetzt einen neuen Aufschwung mit einer Jetzt-erst-Recht-Haltung, oder werden sie langsam zermürbt und zerbröckeln sie angesichts dieser Auseinandersetzungen? Wird die Regierung Hongkongs die Demonstranten überzeugen können, dass sie nicht hinter den Angriffen auf sie steht, und wird sie ihr Gesprächsangebot erneuern? Überhaupt: Wie könnte eine Verhandlungslösung aussehen? Die Positionen beider Seiten stehen sich im Augenblick diametral gegenüber. Bewegung auf Seiten der Regierung in Peking, die letztendlich die Regierung in Hongkong kontrolliert, ist nicht erkennbar. Sie nimmt für sich weiterhin in Anspruch, nicht nur das Recht, sondern auch den Willen der Mehrheit der Menschen zu repräsentieren. Die Situation in Hongkong ist demnach alles andere als übersichtlich und noch immer weit von einer Lösung entfernt.


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