Umweltkatastrophe in Vietnam

Hanoi (Vietnam), 10.09.2016 – Während man in Europa mit der Flüchtlingskrise und in Amerika mit den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen der USA beschäftigt war, ereignete sich in Vietnam, von der Weltöffentlichkeit fast unbemerkt, die wohl größte Umweltkatastrophe seit dem Einsatz von Agent Orange durch die Amerikaner im Vietnamkrieg. Wie bereits im Vietnamkrieg kommen die Verantwortlichen für die Umweltkatastrophe aus dem Ausland und bedienen sich der Unterstützung der vietnamesischen Politiker.

Provinzen in Vietnam

" größte Umweltkatastrophe in Vietnam seit Agent Orange "

Beginnend Anfang April 2016 kam es zu einem Massenfischsterben an den Küsten von Vietnam. Die Katastrophe begann in der Provinz Ha Tinh, in Zentralvietnam und breitete sich anschließend auf über mehr als 200 km Küstenlinie, in die Provinzen Quang Binh, Quang Tri, Thua Thien Hue und Da Nang aus. Seitdem wurden hunderttausende (weit mehr als 115 Tonnen) von toten Fischen, an die Strände der Region gespült und zehntausende von Vietnamesen sind in Ihrer Existenz bedroht.

" Suche nach den Verantwortlichen für die Umweltkatastrophe in Vietnam "

" Wollt ihr Fische oder Stahl? "

 
Eine Anlage von Formosa Plastics in der Nähe von Illiopolis, Illinois. Diese wurde nach dem 23. April 2004 geschlossen, als diese explodierte und fünf Mitarbeiter tötete.[1]

Anfang April 2016, dem Beginn des Massenfischsterbens wurde durch den taiwanesischen Konzern FORMOSA PLASTICS GROUP (FPG), in der vietnamesischen Provinz Ha Tinh ein Stahlwerk in Betrieb genommen. Fischer der Region fanden Pipelines der Formosa Ha Tinh Steel Company (FHS), welche die Abwässer des Unternehmens direkt ins Meer leiteten und waren sich sicher die Ursache für die Umweltkatastrophe gefunden zu haben. Diese Annahme der Fischer wurde dann in einer ersten inoffiziellen Stellungnahme von Formosa auch bestätigt. Herr Chou Chun Fan, ein leitender Manager des Unternehmens entschuldigte sich, für die Katastrophe. Er stellte aber klar, dass man um etwas zu gewinnen erst einmal etwas verlieren müsste. Er untermauerte dies mit seiner Aussage: "Wollt ihr Fische oder wollt ihr ein Stahlwerk? Ihr müsst euch schon entscheiden!". Dies führte zu einer Welle von Protesten und Empörung unter der vietnamesischen Bevölkerung. Von offizieller Seite der Formosa Ha Tinh Steel Company (FHS) wurden die Anschuldigungen vehement bestritten und Herr Chou Chun Fan mit der Begründung entlassen, dass er nicht die Meinung des Unternehmens vertrete. Die vietnamesische Regierung in Hanoi hielt sich bedeckt, betonte jedoch den Fall lückenlos aufklären zu wollen. Am 27.04.2016 sprach der stellvertretende Minister für Ressourcen und Umwelt, Herr Vo Tuan Nhan während einer Pressekonferenz die Formosa Ha Tinh Steel Company (FHS) von jeder Verantwortung an der Umweltkatastrophe frei. Ursache für das Fischsterben wären vielmehr eine Algenblüte und die Einleitung toxischer Chemikalien durch die Bewohner der Region. Fragen lies die vietnamesische Regierung während der Pressekonferenz nicht zu. Vietnamesische Bürgerrechtler gehen davon aus, dass hier korrupte Regierungsvertreter durch die Formosa bestochen wurden, um den Vorfall zu vertuschen.

 
Werk der Formosa Plastics Group im Mail-Liao Industrial Complex, Yunlin County

" Formosa Plastics Group "

Die taiwanische Formosa Plastics Group ist mit einem Jahresumsatz von 78 Milliarden USD und mehr als 106-tausend Beschäftigten einer der größten Chemiekonzerne weltweit. Der Konzern betreibt zahlreiche Tochterfirmen in Taiwan, China, Vietnam und anderen Ländern, auch in den USA. Im Jahr 2009 wurden die Inhaber und das Management der Formosa Plastics Group mit dem Black Planet Award, der ethecon - Stiftung für Ethik & Ökonomie, als zu den Verantwortlichen für die größten Umweltverschmutzung der Erde gehörend, an den Pranger gestellt.

" Vietnam wehrt sich "

 
vietnamesische Demonstranten in Hanoi

Seit April 2016 bis zum heutigen Tag kommt es in ganz Vietnam fast täglich zu spontanen und organisierten Protesten gegen die Formosa Ha Tinh Steel Company (FHS). Es gibt Proteste gegen Formosa von Hanoi bis Ho Chi Minh Stadt. Selbst die Kinder in Vietnam klagen an: ” Wo sind unsere Fische geblieben? ”. Auch Vietnamesen welche eine neue Heimat im Ausland gefunden haben versammeln sich immer wieder, um gegen die Zustände in Vietnam zu protestieren. Dies geschieht speziell in den USA und in Australien. Bei Protestkundgebungen von Vietnamesen in Deutschland werden Forderungen nach einem Stopp der Zahlung von Entwicklungshilfe an das kommunistische Regime in Vietnam laut, doch niemand hört zu. Hunderttausende von Betroffenen und Sympathisanten gingen seit April 2016 bereits auf die Straßen. Sie fordern Fisch statt Stahl und drängen die Regierung in Hanoi, gegen die Formosa Ha Tinh Steel Company (FHS) mit aller Härte vorzugehen, sowie dieses Unternehmen des Landes zu verweisen. Doch die Härte des kommunistischen Regimes in Hanoi richtet sich nicht wie gehofft gegen die Verantwortlichen der Umweltkatastrophe, sondern gegen die Demonstranten und Bürgerrechtler, welche Aufklärung fordern. Auch Journalisten, welche über die Demonstrationen berichten stehen im Visier der kommunistischen Regierung. Hundertschaften von uniformierten und zivilen Sicherheitskräften stehen den Demonstranten gegenüber. Am Rande der Demonstrationen kommt es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen der Polizei gegen Demonstranten. Rädelsführer werden verhaftet und in Zivilfahrzeugen verschleppt. Allein bei einer Demonstration in Ho Chi Minh Stadt am 15. Mai 2016 sollen nach Angaben von Bürgerrechtlern 300 Demonstranten verhaftet worden sein. Aus der Untersuchungshaft Entlassene berichten von körperlicher Gewalt, sowie Folter durch die Polizei. Zahlreiche Demonstranten mussten ärztlich versorgt werden.

" Formosa doch schuld an der Umweltkatastrophe "

 
zahlreiche tote Fische schwimmen im Wasser

Ende Juni 2016 gab die vietnamesische Regierung auf einer Pressekonferenz die Untersuchungsergebnisse zur Umweltkatastrophe bekannt. Eine Kommission von mehr als 100 Experten und Wissenschaftlern von 30 Institutionen aus dem In- und Ausland hat ermittelt das eine große Menge giftiger Stoffe, wie Phenol, Cyaniden und Eisenhydroxiden, von der Formosa Ha Tinh Steel Company, ins Meer geleitet wurden. Dies geschah durch Fehler und Gesetzesverstöße während einem Testbetrieb des Stahlwerkes in Vung Ang (Provinz Ha Tinh), welche zu dem Massenfischsterben führten. Formosa hatte sich zwischenzeitlich beim vietnamesischen Volk und der vietnamesischen Regierung für die Verursachung der Umweltkatastrophe offiziell entschuldigt. Das Unternehmen stellt die Zahlung von 500 Millionen USD in Aussicht um Betroffene für den wirtschaftlichen Verlust zu entschädigen. Des Weiteren erklärte sich Formosa bereit diesen bei der Umschulung in andere Berufe behilflich zu sein und erkauft sich damit den Verzicht der vietnamesischen Regierung auf eine weitere Strafverfolgung. Formosa wird die Fehler bei der Entsorgung der Abwässer beheben und in Zusammenarbeit mit der vietnamesischen Regierung Maßnahmen ergreifen um die Situation und weitere Entwicklung der Meeresverseuchung in Zentralvietnam zu kontrollieren und um weitern zukünftigen Verschmutzungen vorzubeugen. Laut Aussagen des Gesundheitsministeriums und des Landwirtschaftsministeriums in Vietnam sei die Wasserqualität des Meeres in den betroffenen Provinzen derzeit unbedenklich und somit sicher. Es ist fragwürdig inwieweit dies den Tatsachen entspricht, da die Auswertungen der Wasserproben vom April des Jahres 2016, erst im Juni, also ganze 3 Monate später vorlagen.

" bei den Opfern der Umweltkatastrophe in Vietnam "

 
Lăng Cô-Strand in Huế. auch hier gab es Auswirkungen der Katastrophe

Wir fahren nach Vung Ang in der Provinz Ha Tinh, wo wir am Strand mit Herrn Quang Thanh verabredet sind. Bei unserer Ankunft scheint die Stadt wie ausgestorben und auch der Strand ist verwaist. Die zahlreichen Fischerboote sind mit Planen abgedeckt. Wir finden Herrn Quang Thanh, welcher Fischer in der dritten Generation ist neben einem der Boote. Sein Gesicht ist von Sonne, Wind und salzigem Meerwasser ebenso verwittert wie die Farbe an seinem Boot. Seine trüben Augen, in welchen jedwedes Feuer erloschen ist blicken traurig und nachdenklich hinaus aufs Meer. Nach einer kurzen Begrüßung und einer Weile des Schweigens, fragen wir wieso wir in der Stadt, sowie am Strand auf nur sehr wenige Bewohner getroffen sind und Herrn Quang Thanh beginnt zu erzählen: "Seit dem vergangenen April und dem Beginn des großen Fischsterbens ist hier nichts mehr so wie es einmal war. Die Jungen sind fortgezogen, nach Saigon oder Hanoi, um dort Arbeit zu finden und die Alten bleiben in ihren Häusern. Was sollen Sie auch draußen? Die Luft stinkt nach verwesendem Fisch und die Boote der Fischer laufen morgens nicht mehr aus, also muss man diese am Nachmittag auch nicht mit dem Fang des Tages erwarten. Lediglich einige größere Boote wagen sich aus der 200 Meilenzone, vor der Küste hinaus, dahin wo es noch Fisch gibt. Doch dies ist gefährlich, da die Fischerboote dort von chinesischen Schiffen attackiert werden. Eines dieser Boote, mit vier Mann Besatzung ist von einer solchen Fahrt bereits nicht zurückgekehrt. Doch selbst wenn die Boote mit ihrem Fang zurückkehren, ist es nahezu unmöglich den Fisch zu verkaufen. Restaurants in der Region bieten keinen Fisch mehr an und daher wird dieser meist an die Hühner verfüttert oder in weit entfernte Regionen verbracht. Selbst die Fischer haben Angst davor ihren eigenen Fisch zu essen. Trockenfisch, Meersalz und unsere geliebte Fischsauce um würzen von Speisen - alles ist ganzen Land zur Mangelware geworden und niemand weiß, wann es wieder aufwärts geht."

Auf die Frage, warum er sich noch in Vung Ang aufhält antwortet Herrn Quang Thanh: "Meine elfjährige Tochter liegt mit Fieber, Bauchschmerzen und Hautausschlag im Bett und dies schon seit mehr als zwei Wochen. Die Ärzte wissen nicht was ihr fehlt und mir fehlt das Geld für die Behandlung im Hospital. Sobald sich meine Tochter besser fühlt, gehen wir nach Pleiku, wo mein Schwager eine kleine Baufirma hat, in welcher ich Arbeit finden kann."

Bei der Frage, was die vietnamesische Regierung tut, um die Situation in der Region zu verbessern quält sich ein müdes und kaum zu bemerkendes Lächeln auf das Gesicht von Herrn Quang Thanh: "Unsere Regierung will uns Reis zur Verfügung stellen, damit wir nicht verhungern und dass war es dann auch schon an Hilfe. Ob das Geld, mit welchem sich Formosa freigekauft hat, hier jemals ankommt wage ich zu bezweifeln. Vermutlich werden diese Gelder in den Taschen der Politiker landen, welche zugelassen haben, dass Formosa unsere Meere verseucht und unser Leben zerstört hat."

Wir verabschieden uns von Herrn Quang Thanh, bedanken uns und wünschen ihm und seiner Familie viel Glück. Er ruft uns noch hinterher: "Bitte lasst die Welt wissen was hier passiert und wie wir leben müssen." Wir fühlen uns nicht wirklich gut, als wir die menschenleere Stadt, mit Blick auf die Nebelschwaden der Formosa Ha Tinh Steel Company, welche am Horizont in den Himmel steigen, verlassen.

" erste Hilfsgüter erreichen Vung Ang "

Am 20. August 2016, also ganze 4 Monate nach Beginn der Umweltkatastrophe in Zentralvietnam erreichen die ersten Hilfsgüter Vung Ang, doch diese kommen nicht von der vietnamesischen Regierung oder von Formosa. Eine gemeinnützige Organisation hat aus Spendengeldern eine Lieferung von Reis und Speiseöl, sowie anderen Nahrungsmitteln zusammen gestellt. Doch es sind kaum noch Bewohner in Vung Ang, welche in den Genuss der Hilfsgüter kommen. Die Region ist verlassen.


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