Trump kürt Running Mate und gibt sich nach Attentat siegessicher

Veröffentlicht: 06:47, 20. Jul. 2024 (CEST)
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Trump kürt Running Mate und gibt sich nach Attentat siegessicher
Ein Rückblick auf den Parteitag der Republikaner in Milwaukee


Milwaukee (Vereinigte Staaten), 20.07.2024 – Es war ein Parteitag, wie man ihn sich vor einer Woche noch nicht vorstellen konnte: die Republican National Convention, der finale Parteitag vor der Präsidentschaftswahl im kommenden November. Eigentlich ist die im Vierjahresrhythmus stattfindende Veranstaltung eine reine Formalität, bei der der in den Vorwahlen bestimmte Präsidentschaftskandidat und der von ihm gewählte Running Mate für das Amt des Vizepräsidenten nominell bekräftigt werden. In diesem Jahr hingegen konnte die Partei glänzen: mit einem Trump, der nach dem Attentat auf ihn am vergangenen Wochenende zeigen kann, dass die Partei geschlossen hinter ihm steht, mit Trumps Running Mate J. D. Vance, der, ehemals Trump-Kritiker, sich nun als dessen radikaler Unterstützer präsentiert. Und den Nachrichten von einem führenden demokratischen Politiker nach dem anderen, der Biden das Antreten für das Präsidentschaftsamt nicht mehr zutrauen soll. Beste Aussichten also für die Entscheidung im November?

Das Duo Trump und Vance
Das Duo Trump und Vance
Ein sicherer und kämpferischer Trump

Als Donald Trump am Montag um 21 Uhr Ortszeit im Fiserv Forum in Milwaukee auf die Bühne trat, war das Attentat auf ihn nicht einmal 48 Stunden her. Der am Samstag auf einer Wahlkampfveranstaltung Angeschossene hatte sich bis dahin nur über soziale Netzwerke gemeldet. In einem Beitrag auf der von ihm mitinitiierten Plattform Truth Social schrieb er, obwohl er geplant hätte, erst zwei Tage später anzureisen, wolle er dem Attentäter keine Möglichkeit geben, eine Änderung im Zeitplan verursacht zu haben. Geblieben war hingegen der Eindruck, den Trump vom Attentat hinterlassen hatte: Das Bild von ihm mit der nach oben gestreckten Faust ging um die Welt. Bei diesem seinem ersten offiziellen Auftritt nach dem Attentat zeigte er sich mit Verband am verletzten Ohr, hielt keine Eröffnungsrede, sondern wiederholte die Geste, woraufhin das begeisterte Publikum „Fight! Fight! Fight!” (zu deutsch „Kämpft!“) rief. Einige Stunden zuvor hatte Mike Johnson, der Sprecher des US-Repräsentantenhauses, unter Jubel bekanntgegeben, dass Trump offiziell zum Kandidaten für die Präsidentschaftswahl gekürt worden war. Rechtzeitig zum Parteitag konnte Trump zudem einen weiteren juristischen Erfolg einfahren: Die für die sogenannte Dokumentenaffäre zuständige Bezirksrichterin in Florida stellte das Verfahren gegen Trump, dem die Veruntreuung von Regierungsdokumenten vorgeworfen wird, ein. In den Umfragen liegt Trump um mehrere Prozentpunkte vor Joe Biden.

Eigentlich ein Grund, jetzt den Gegner umso mehr anzugreifen. Stattdessen schlug Trump zunächst versöhnlichere Töne an. In einem Interview mit der New York Post sagte er, er habe eine ursprünglich geplante offensive, „extrem harte“ Rede verworfen; er wolle „versuchen, das Land zu einen“. In seinem Abschlussstatement am Donnerstag, in dem er auch die Nominierung durch die Partei formell akzeptierte, sprach er von Aussöhnung und einer notwendigen Einheit der amerikanischen Gesellschaft. Er kandidiere „für ganz Amerika, nicht für halb Amerika“, ein Wahlsieg „für halb Amerika“ sei kein Erfolg. Währenddessen äußerte sich Präsident Biden ähnlich: Es sei an der Zeit, den aufgeheizten politischen Diskurs im Land abzukühlen. Meinungsverschiedenheiten löse man „an der Wahlurne, […] nicht mit Kugeln.“

Trumps Rede war perfekt inszeniert: Er kündigte an, seine Sicht des Attentats auf ihn nur ein einziges Mal schildern zu wollen; die Erlebnisse seien zu schmerzhaft. Er würdigte den Feuerwehrmann im Publikum, den die Schüsse getroffen hatten, küsste dessen auf der Bühne aufgestellten Helm. Im Hintergrund wurden großflächig Bilder vom Attentat eingeblendet. Er sei vom „allmächtigen Gott“ gerettet worden, so Trump ein wenig demütig.

Und bald verfiel Trump in seiner Rede wieder in alte Muster: Er griff die Demokratische Partei an, kritisierte die Migrationspolitik, die hohe Inflation und Kriege im Ausland. Es gebe eine internationale Krise, „wie sie die Welt selten erlebt hat“. Neben Europa und dem Nahen Osten „schwebe“ „ein wachsendes Gespenst des Konflikts“ über Asien, insbesondere der Region im Süden und Osten Chinas. Die Demokraten hätten die Justiz mit den zahlreichen Anklagen gegen ihn „bewaffnet“ und die COVID-19-Pandemie genutzt, um die Wahl 2020 zu fälschen. Nur er, so Trump, sei „derjenige, der die Demokratie rettet“. Nur persönliche Attacken auf Joe Biden vermied er: Der Präsident wurde in der knapp 90-minütigen Rede nur ein einziges Mal erwähnt.

Trump verlässt den Parteitag mit viel Rückendeckung. Nicht nur trat er viel im Kreise seiner anwesenden Familienmitglieder auf, er ließ auch Konkurrenten im Vorwahlkampf sprechen. Nikki Haley, die Anfang März 2024 als Letzte aufgegeben hatte, sprach Trump, dessen Nominierung sie eigentlich hatte verhindern wollen, ihre Unterstützung aus. Man müsse nicht „zu 100 Prozent“ mit Trump übereinstimmen, um ihm seine Stimme zu geben. Nach ihrem Rückzug hatte sie Trump die Unterstützung zunächst verweigert, nachdem sie bereits vorher auf sein hohes Alter und die zahlreichen Gerichtsprozesse verwiesen hatte. Erst im Mai gab sie an, bei der Wahl im November für Trump stimmen zu wollen. In der Vorwoche hatte sie die bei den Vorwahlen gewonnenen Delegierten gebeten, auf dem Parteitag für Trump zu stimmen. Damit versucht die Partei auch, die Unterstützer Haleys von einem Abwandern zu anderen Parteien abzuhalten. Unternehmer Vivek Ramaswamy, der bis Januar 2024 ebenfalls für die Nominierung der Republikaner kandidierte, wandte sich direkt an jüngere Wähler der Jahrgänge ab 1980. Man dürfte gegenüber den USA nicht „zynisch“ sein, zur Generation Z meinte er, der beste Weg auf den Colleges als „Rebell“ aufzutreten wäre es, dort ein Konservativer zu sein; sie würden „die Generation sein, die dieses Land tatsächlich rettet“. Zuletzt hatten Umfragen ergeben, dass Trump bei den jüngeren Wählergruppen an Zustimmung verliert. Floridas Gouverneur Ron deSantis, der als Vorletzter aus dem Rennen in den Vorwahlen ausgestiegen war, schwor die Partei ebenfalls auf Trump ein. Wrestling-Ikone Hulk Hogan zog während seiner Rede erst das Sakko aus und zerriss dann das eigene, mit einer US-Flagge bedruckte T-Shirt, welches wiederum den Blick auf ein „Trump 2024“-Hemd freigab. Musiker Kid Rock performte kurz vor Trumps Rede einen Song und animierte das Publikum, Parolen wie „Fight!“ oder „Trump!“ zu skandieren. Nach dem Attentat hatte er online geschrieben: „Wenn du dich mit Trump anlegst, legst du dich mit mir an.“

Währenddessen versuchen deutsche Politiker, Kontakte mit republikanischen Politikern zu knüpfen, um sich auf einen möglichen Trump-Sieg im November vorzubereiten. Mehrere Bundestagsabgeordnete, darunter Jens Spahn, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion und Metin Hakverdi von der SPD sind vor Ort, auch Michael Link (FDP) als Transatlantik-Beauftragter der Bundesregierung versucht sich ein Bild von der Stimmung in der Partei zu machen. Man will besser vorbereitet sein als beim überraschenden Trump-Sieg im Jahr 2016. Aktuell befürchten viele ein Vakuum, sollten sich die USA unter Trump aus der Außenpolitik und auch der NATO zurückziehen. Spahn ist hingegen eher optimistisch. Eine Diktatur unter Trump? „Wir sollten mal aufhören mit diesen Überschriften.“

Ein ehemaliger Gegner wird zum Running Mate

„Ich bin ein Niemals-Trump-Typ, ich mochte ihn noch nie.“, sagte James David Vance im Jahr 2016. Trump kandidierte für das Präsidentenamt, und „J. D.“ gehörte zu seinen größten Kritikern. Er hätte damals selbst nicht geglaubt, dass derjenige, den er damals für ungeeignet hielt, ihn knapp acht Jahre später für das zweithöchste Amt im Staat, als Vizepräsidenten der USA nominieren würde. Vance geht mit Trump in den Endspurt des Wahlkampfes und will mit ihm ins Weiße Haus einziehen. Dabei hatte es im Vorfeld auch zahlreiche Spekulationen über andere Kandidaten gegeben, mit denen Trump sich bei Frauen oder People of Color womöglich attraktiver hätte machen können: von Nikki Haley, seiner finalen Konkurrentin im Vorwahlkampf, über Elise Stefanik, die den US-Bundesstaat New York im Repräsentantenhaus vertritt, bis hin zu Tim Scott, einem Senator aus South Carolina.

Nun ist es doch Vance geworden. Der 39-Jährige kommt aus dem Rust Belt, einer Industriegegend im Norden nahe den Großen Seen, die seit mehreren Jahrzehnten von wirtschaftlicher Schwäche geplagt ist. Die Stadt, aus der er komme, habe zu kämpfen, sagte Vance. Nach einer vom Kontakt mit Alkohol- und Drogenabhängigen geprägten Jugend studierte er an der Universität Yale, ging zum United States Marine Corps. International bekannt wurde er 2016 als Autor des Buches Hillbilly Elegy, das seine Sicht auf die Situation der weißen Arbeiterklasse in seiner Heimatregion schildert und ihn zu einem gern gesehenen Interviewgast machte. Trump steckte mitten im Wahlkampf, und Vance ließ in sämtlichen Gesprächen kaum eine Gelegenheit aus, seine Abneigung für den Unternehmer klar zu machen: „Mein Gott, was für ein Idiot“, „Ich finde ihn verwerflich“, Trump sei wie „kulturelles Heroin“, „Seine politischen Vorschläge, wie sie sind, reichen von unmoralisch bis absurd.“ 2022 tauchte eine Facebook-Nachricht an einen ehemaligen Kommilitonen aus Yale auf, in der Vance Trump als „zynisches Arschloch“ und „Amerikas Hitler“ bezeichnete. All das ist Schnee von gestern. Bereits zwei Jahre später begann Vance, in seiner Haltung eine radikale Wende durchzumachen: Im Februar 2018 war Trump für ihn „am wenigsten besorgniserregend“, im Jahr 2020 unterstütze er bereits Trumps Wiederwahl-Ambitionen, entschuldigte sich für Äußerungen und löschte diverse Trump-kritische Posts. Nach der gescheiterten Wiederwahl 2020 verbreitete er wie viele Republikaner Theorien, nach denen die Wahl gefälscht worden sei, und sah bald seine Chance für den politischen Durchstart gekommen: Rob Portman, republikanischer Senator aus Ohio, zog sich 2022 aus dem US-Kongress zurück, und Vance ließ sich bei den Zwischenwahlen an seine Stelle wählen.

Seine politischen Positionen machte Vance zuletzt auf der National Conservatism Conference deutlich: Er unterstützt ein landesweites Abtreibungsverbot, ist überzeugt, dass der Amerikanische Traum von Linken „belagert“ werde, dass das Vereinigte Königreich unter der neuen Labour-Regierung zur ersten islamistischen Atommacht geworden sei, und dass die amerikanische Unterstützung für die Ukraine kein klares, realisierbares Ziel habe. Wenige Stunden nach dem Attentat auf Trump gab Vance in einem Post auf der Plattform X Biden persönlich die Schuld an der Tat.

Statt Frauen oder dunkelhäutige Menschen will Trump mit dem Millenial Vance nun die jungen Wähler ansprechen: Er selbst ist doppelt so alt wie sein Running Mate. Er könnte Vance auch als ein Exempel sehen, um Wähler der Mitte und Trump-kritische Wähler zu überzeugen, den selben Weg zu gehen und sich dem Präsidentschaftskandidaten zuzuwenden. Trump hat mit der auf Vance fallenden Wahl eine Aufsehen erregende Entscheidung für einen Unterstützer getroffen, der sich als radikaler Konservativer positioniert und im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen könnte.

Mehr Zweifel an Präsident Biden

Während des Parteitags mehrten sich auch die Rückzugsforderungen gegenüber US-Präsident Biden. Ex-Präsident Barack Obama, die ehemalige Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, zahlreiche Kongressabgeordnete der Demokraten – die Liste der Politiker, die Biden nicht mehr als klar für eine zweite Amtszeit geeignet ansehen, ist lang. Und nun kommt unerwartet noch zusätzliche Dynamik dazu: Biden hat sich am Donnerstag nach einer COVID-19-Infektion in sein Wochenendhaus in Delaware zurückgezogen. Er hat angekündigt, am Sonntag ein Statement abzugeben zu wollen. Sollte der 81-Jährige dem wachsenden Druck nachgeben, dürfte Vizepräsidentin Kamala Harris seine aussichtsreichste Nachfolgerin sein. Ob die Demokraten im Wahlkampf dadurch gestärkt oder geschwächt würden, bleibt unklar. Mehrere US-Medien berichten, dass Biden einen Rückzug nicht mehr ausschließen soll und die Familie entsprechende Szenarien durchspiele. Das Wahlkampfteam widerspricht – Biden werde an der Kandidatur festhalten.

Ein Rückzug am Sonntag könnte eine ereignisreiche Woche im US-Wahlkampf beenden – mit unklaren Folgen für die Entscheidung in der Wahl am 5. November.

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