Thüringen: 2. NSU-Untersuchungsausschuss beendet Arbeit

Veröffentlicht: 23:55, 2. Okt. 2019 (CEST)
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Erfurt (Deutschland), 02.10.2019 – Der zweite Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss hat wenige Tage vor der Landtagswahl seine Arbeit beendet und seinen Abschlussbericht veröffentlicht. Darin werden eine Reihe von Unzulänglichkeiten bei Polizei, Verfassungsschutz und Justiz Thüringens bei der Aufklärung der Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und der Fahndung nach Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe aufgezählt. Aber man habe nicht alles aufarbeiten können, was man aufarbeiten wollte, teilte die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD) bei der Vorstellung des Berichtes mit. Das täte weh, sagte Marx, vor allem in Hinblick auf die sogenannten V-Leute bei der Polizei.

Das Gebäude des Thüringer Landtags

Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe waren in Jena aufgewachsen und lebten 13 Jahre lang im Untergrund, wobei sie mit Unterstützung durch Komplizen nach heutigem Kenntnisstand zehn Menschen ermordeten, die meisten davon mit Migrationshintergrund. Böhnhardt und Mundlos begingen nach einem Banküberfall 2011 in Eisenach Suizid, Zschäpe wurde wegen zehnfachen Mordes im Juli 2018 vom Oberlandesgericht München zu lebenslanger Haft verurteilt.

Doch der Ausschuss bezweifelt, dass die Polizistin Michèle Kiesewetter durch Böhnhardt und Mundlos zufällig erschossen wurde. Sie sei in Bereichen eingesetzt gewesen, in denen es Berührungspunkte zu rechtsextremen Tätern gab. Damit habe sich der Untersuchungsausschuss aus Zeitgründen nicht ausführlich befasst, sagte Marx und betonte, die damaligen Ermittler hätten sich mit diesem Ansatz aber „nicht sehr intensiv auseinandergesetzt“.

Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses kritisieren darin die Arbeit der Richter und Staatsanwälte, die nur „wenige Kenntnisse“ über die Überschneidung von rechtsextremer Szene und organisierter Kriminalität hätten. In einem Sondervotum bestreiten die CDU-Mitglieder im Ausschuss jedoch Verknüpfungen zwischen Neonazis und Rockern.

Der Informationsaustausch sowohl zwischen den verschiedenen Landesbehörden als auch zwischen Landes- und Bundesbehörden sei ungenügend gewesen. So habe der Thüringer Verfassungsschutz seine Informationen nicht an die Polizei weitergegeben, als nach den untergetauchten Personen gesucht wurde. BKA-Mitarbeiter hätten Computer, Handys und Festplatten mitgenommen, die bei der Durchsuchung bei einem Rechtsextremen beschlagnahmt worden waren, ohne dass die Daten zuvor beim Thüringer Landeskriminalamt vollständig gesichert waren. Möglicherweise gingen dadurch sogar Daten verloren.

Die Obfrau der Linken in dem Untersuchungsausschuss, Katharina König-Preuss, stellte fest, dass auch dieser Untersuchungsausschuss „gescheitert“ sei beim Einlösen des Versprechens einer lückenlosen Aufklärung der Verbrechen der Terrorzelle, das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im November 2011 der Hinterbliebenen der Opfer gegebenen habe. König-Preuss rief zu einem offenem Umgang mit Fehlern auf. Das sei wichtiger, als in Dienstanweisungen neue Regeln hineinzuschreiben. Es müsse offen über Fehler gesprochen werden, statt Disziplinarverfahren einzuleiten. Offene Fragen gebe es auch für ihn, stellte der AfD-Obmann im Ausschuss, Jörg Henke, fest. Jörg Kellner, CDU-Obmann im Ausschuss, verlangte nach mehr Personal bei Polizei und Verfassungsschutz.

Der Ministerpräsident Thüringens, Bodo Ramelow (Die Linke), sieht weiteren Aufklärungsbedarf. „Es bleibt der Eindruck, dass alles, was wir über das rechte Netzwerk wissen, nur der Spitze eines Eisberges ähnelt“, sagte Ramelow gegenüber der Funke Mediengruppe. Zwar sei die Aufarbeitung des NSU-Komplexes ein gutes Stück voran gekommen, doch manches liege „nach wie vor im Dunkeln und verlangt nach weiterer Aufklärung“.

Vertreter aller Fraktionen des thüringischen Landtags haben sich in dem 2200 Seiten umfassenden Abschlussbericht dafür ausgesprochen, die Akten in einem speziellen Archiv zusammenzufassen, um so Forschung und Recherche zu ermöglichen. „Es müssen Unterlagen öffentlich gemacht werden“, sagte Birgit Pelke, die SPD-Obfrau im Ausschuss.


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