Somalia: Piraten kapern Supertanker

Veröffentlicht: 16:20, 20. Nov. 2008 (CET)
Bitte keine inhaltlichen Veränderungen vornehmen.

Mogadischu (Somalia), 20.11.2008 – Die spektakuläre Kaperung des Supertankers Sirius Star, der einer Tochterunternehmung des Ölkonzerns Saudi Aramco gehört, ist der Höhepunkt zahlreicher Schiffsentführungen vor der somalischen Küste.

Der Supertanker Sirius Star.
Foto: William S. Stevens, U.S. Navy

Der rund 330 Meter lange Öltanker hat Rohöl im Wert von etwa 80 Millionen Euro geladen und war auf dem Weg von Doha in die Vereinigten Staaten. Piraten hatten das Schiff am 15. November um 7:28 Uhr Weltzeit rund 850 Kilometer östlich von Mombasa gekapert. Die Besatzung des Öltankers besteht aus zwei Briten, zwei Polen, einem Kroaten, einem Saudi-Araber und 19 philippinischen Seeleuten. Der gekaperte Öltanker ankert nun vor der nordsomalischen Stadt Harardhere.

Jane Campbell, eine Sprecherin der in Bahnrein stationierten 5. US-Flotte, teilte auf Anfrage zu einer militärischen Aktion zur Befreiung des Schiffes und seiner Besatzung mit, dass eine solche Operation die Situation zu einer Geiselnahme machen würde und die Sicherheit der 25 Besatzungsmitglieder berücksichtigt werden müsse.

Der Piratenüberfall auf die Sirius Star war nicht der erste solche Zwischenfall.

Bis zur Kaperung der Sirius Star wurden allein im Jahr 2008 vor der somalischen Küste 92 Schiffe von Piraten angegriffen. Für 36 aufgebrachte Schiffe wurde Lösegeld bezahlt, und 16 gekaperte Schiffe mit etwa 250 Besatzungsmitgliedern an Bord sind derzeit unter Kontrolle der Piraten. Die Piraten halten Schiffe und Crews solange fest, bis ein Lösegeld bezahlt wird. Durch das International Maritime Bureau wird die Summe des 2008 bislang erpressten Lösegeldes auf 50 Millionen US-Dollar geschätzt, wobei die Rate pro Schiff sich derzeit zwischen 500.000 und zwei Millionen US-Dollar bewege.

In dem durch den seit dem Sturz von Siad Barre im Jahr 1991 währenden Bürgerkrieg gebeutelten Staat blüht die Piraterie. Das Lösegeld ermöglicht den Kauf neuerer besserer Waffen, wodurch die Piraten immer dreistere Aktionen durchführen können. Nebenbei kurbelt es die lokale Wirtschaft an, weil die Piraten das Geld unter die Leute bringen; Händler, Restaurantbesitzer und Bauunternehmer sind die Nutznießer. „Alles, was man braucht, sind drei Jungs und ein kleines Boot, und am nächsten Tag bist du ein Millionär“, äußerte sich ein früherer Kapitän.

Somalia gehört zu den gescheiterten Staaten. Der fast zwei Jahrzehnte andauernde Bürgerkrieg hat alle administrativen und sozialen Strukturen zerstört. Es gibt keine Polizei und keine funktionierende Justiz, Warlords und Milizen beherrschen große Teile des Staatsgebietes, auf denen sich mehrere De-facto-Regime gebildet haben. Während sich in Somaliland halbwegs geordnete Verhältnisse entwickelten, blüht das Piratentum vor allem in Puntland im Nordosten Somalias.

Aufsehen hatte bereits die Kaperung des Frachters Faina am 25. September verursacht, für den zunächst 22 Millionen US-Dollar Lösegeld gefordert wurden. Der unter der Flagge Belizes fahrende Frachter hat Berichten zufolge mindestens 30 T-72-Panzer für Kenia geladen. Am 18. November wurde der unter der Flagge Hongkongs fahrende Frachter „Delight“ von Piraten entführt. Auch ein türkisches Schiff und ein thailändischer Fischtrawler gelangten in den letzten Tagen in die Gewalt von Piraten.

Der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff, Admiral Mike Mullen, äußerte auf einer Pressekonferenz seine Überraschung. Die Stelle, an der die Piraten die Sirius Star unter Kontrolle gebracht haben, liegt weit außerhalb ihres bisher üblichen Operationsgebietes. Mullen bezeichnete die Vorgehensweise der Piraten als „taktisch wirklich sehr gut“. Der saudi-arabische Außenminister Saud al-Faisal bezeichnete den Vorfall als „abscheuliche Tat“.

Offenbar setzen die Piraten inzwischen sogenannte „Mutterschiffe“ ein, die als Operationsbasis für die schnellen Motorboote dienen, mit denen die Piraten angreifen. Üblicherweise gelangen die Piraten mit Wurfankern und Strickleitern an Bord der Schiffe, deren Deck oft nur acht oder zehn Meter über der Wasseroberfläche liegt. Die Angriffe erfolgen meist nachts.

Die von den Vereinten Nationen beschlossene militärische Aktion kommt jedoch nicht so recht in die Gänge. Vor allem innerhalb der EU-Staaten bestanden Meinungsverschiedenheiten. Zypern wehrte sich gegen eine Zusammenarbeit mit der NATO, weil es befürchtete, dass die Türkei so sicherheitsrelevante Informationen über Zypern erhalten könnte. Derweil stritten sich die in die geplante Operation Atalanta involvierten Bundesministerien wochenlang über die Begleitung der Schiffe der Bundesmarine durch Bundespolizisten – die Bundeswehr könne keine Polizeiaufgaben wahrnehmen. Der Somalia-Einsatz soll nun vom Kabinett Anfang Dezember beschlossen werden.

Andere Staaten diskutieren nicht, sondern handeln. Als am 19. November das indische Kriegsschiff INS Tabar in ein Feuergefecht mit mehreren Piratenschnellbooten geriet, schossen die Inder zurück und haben das mutmaßliche Mutterschiff kurzerhand versenkt.

  In der Wikipedia gibt es den weiterführenden Artikel „Piraterie in Somalia“.

Quellen