Rassistische Unruhen in Russland
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Kondopoga / Moskau (Russland), 04.09.2006 – Während die Welt besorgt auf die aktuelle Lage im Nahen Osten blickt, spitzt sich die Lage durch immer schwerere rassistische Ausschreitungen in Russland zu. Jüngster Schauplatz war die Industriestadt Kondopoga in der Republik Karelien (Nordrussland).
In der Nacht zum Mittwoch letzter Woche kam es zu einer Massenschlägerei im Café „Tschajka“. Bei dieser Schlägerei wurden zwei bis vier Menschen (aktuell.ru), drei Personen (FAZ) bzw. zwei Einheimische (RIA Novosti) getötet, zwei von ihnen waren laut Angaben der Polizei Slawen. Nach der tödlichen Nacht kam es in der Stadt zu Demonstrationen und Randalen. Es wurden Behauptungen gestreut, dass Kaukasier die beiden Tötungen begangen hätten, wodurch vor allem Geschäfte und Cafés von ihnen Ziele der Vandalen gewesen seien, allen voran das Café „Tschajka“, welches von einem Tschetschenen geführt wurde. Nationalistische Organisationen riefen für vergangenen Samstag zu einer „Volksversammlung“ in Kondopoga auf, welche auch durch Kräfte in anderen Teilen Russlands unterstützt wurde. Besonders die fremdenfeindliche Organisation DNPI (Bewegung gegen illegale Immigration) wurde von der Presse in diesem Zusammenhang mehrfach genannt. Am Samstag versammelten sich daraufhin zirka 2.000 Menschen auf dem Marktplatz, wo sie weiter aufgestachelt wurden. Am Ende wurden Forderungen laut, alle Kaukasier (FAZ) / Tschetschenen (RIA Novosti) binnen 24 Stunden aus der Stadt zu deportieren und alle Verbrechen in der Stadt seit 1991 auf Beteiligung durch Kaukasier zu untersuchen. Außerdem sollte der von den Kaukasiern geleitete Basar geschlossen und an „Slawen“ übergeben werden.
Ein Mob von zirka 100 (aktuell.ru) teilweise betrunkenen Jugendlichen, der sich durch die Versammlung und die Stimmung gebildet hatte, unternahm weitere schwere Randalen und Brandstiftungen an Geschäften der Kaukasier. Selbst die Miliz konnte den Mob nicht aufhalten. Dadurch sah sich die Regierung Kareliens gezwungen, Spezialeinheiten des Innenministeriums und Milizen aus anderen Teilen der Republik in der Stadt zusammenzuziehen, um Herr der Lage zu werden. Die städtische Polizei hatte nicht eingegriffen, um, so Interfax, „keine schlimmeren Ausschreitungen zu provozieren“. Auch die städtischen Behörden von Kondopoga verharmlosten anfangs den Konflikt und meinten, es gehe nur um Fragen „des alltäglichen Lebens“.
Die Polizei hat im Zusammenhang mit den Tötungsdelikten von der Nacht zum 30. August und den Randalen 129 (aktuell.ru), 109 (FAZ) bzw. mehr als 125 (tagesspiegel) Personen festgenommen. 25 Personen sollen bereits zu Strafen von 15 Tagen Arrest verurteilt worden sein. Als Verdächtige für die ausschlaggebende Tötung wurden sechs Aserbaidschaner (FAZ) bzw. drei Männer (aktuell.ru) festgenommen. Der wahre Grund für die Schlägere im Café „Tschajka“, welche mit Eisenrohren, Baseballschläger und Messer durchgeführt wurde und wobei die drei Personen getötet wurden, ist bislang nicht bekannt. Jedoch lieferte die tschetschenische Diaspora am Sonntag mehrere Tschetschenen an die Rechtschutzorganisation aus, die der Beteiligung an der Tötung verdächtigt werden.
Der Grund des Konfliktes in Kondopoga ist die wirtschaftliche und ethnische Lage wie auch geschürter Fremdenhass. Tschetschenien ist durch die Tschetschenienkrieg Russlands stark geschwächt, und die Arbeitslosenquoten liegt über 50 Prozent. Daher versuchen viele Tschetschenen ihr Glück in den Boomregionen Russlands wie auch in Nord-West-Russland. Die Gastarbeiter schaffen es dabei oft durch aktivere und flexiblere Arbeitsweisen zu einem kleinen Wohlstand. Beispielsweise werden die Basare oftmals von Tschetschenen geleitet, wobei die einheimischen Russen nur noch in den Basaren verkaufen. Durch den höheren Wohlstand und damit einhergehenden Sozialneid der Einheimischen sowie die unterschiedliche Religion – Einheimische sind zumeist orthodoxe Christen, während Tschetschenen größtenteils dem Islam angehören –, sind Nahrung für den durch rechtsradikale gestreuten Fremdenhass.
Einige Zeitungen wie auch der Duma-Abgeordnete Wladimir Ryschkow bezeichneten die Unruhen als Pogrom. Der karelische Staatschef vertrat die Ansicht, die Ursachen seien nur wirtschaftlicher Natur gewesen.
Bereits in anderen Teilen Russlands ist es in der Vergangenheit zu rassistischen Unruhen gekommen, wobei sich diese immer wieder verstärken. Erst neulich ist in Moskau auf einem Basar in Ismailowo ein Bombenattentat von Jugendlichen durchgeführt worden. Die Bombe verletzte zirka 40 bis 55 Menschen und tötete zehn Personen. Zunächst wurde bei dem Anschlag von einem Bandenkrieg ausgegangen, jedoch seien die drei festgenommenen Studenten durch rechtsextreme Handlungen bereits früher aufgefallen.
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Quellen
- Der Tagesspiegel: „Pogrome gegen Kaukasier in Nordrussland“ (04.09.2006)
- RIA Novosti: „Unruhen in Karelien werden von den Behörden als Alltagskonflikt bewertet“ (04.09.2006)
- aktuell.ru: „Karelien: Rassen-Krawalle im sonst stillen Norden“ (04.09.2006)
- Michael Ludwig: Pogrom in Nordrußland. Mehrtägige Ausschreitungen gegen Kaukasier in Karelien. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 205/36/2006. FAZIT-Stiftung, S. 5 (cyper|ℵ)
- Deutsches Generalkonsulat Jekaterinburg: „Internet-Artikel vom Dienstag, 22. August 2006“ (Nur noch im Cache von Google erreichbar) (Datum unbekannt)
- Schweizer Fernsehen: „Legten Rechtsextreme Bombe in Moskau?“ (22.08.2006)