Niedersachsen: Lehrerverbände werfen der Landesregierung Wortbruch und Vertrauensmissbrauch vor

Veröffentlicht: 21:33, 17. Apr. 2008 (CEST)
Bitte keine inhaltlichen Veränderungen vornehmen.

Hannover (Deutschland), 17.04.2008 – Angesichts einer Entscheidung der niedersächsischen Landesregierung zur Arbeitszeitregelung der Lehrkräfte in dem Bundesland sprechen die Lehrerverbände von „Wortbruch“, „Unverschämtheit“ und „Vertrauensbruch“. Die neue niedersächsische Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) verkündete die heftig kritisierte Maßnahme gestern brieflich. Es geht um seit etwa zehn Jahren geleistete unbezahlte Mehrarbeit in einem Umfang zwischen einer und zwei Stunden wöchentlich (gestaffelt nach Schulform), die die niedersächsischen Lehrkräfte laut Arbeitszeitverordnung zusätzlich zu ihrer normalen Stundenverpflichtung leisten mussten und deren Rückzahlung in den kommenden Schuljahren fällig gewesen wäre. Die Kultusministerin schreibt in ihrem Brief, dass diese Erwartung der Lehrkräfte nun doch nicht erfüllt werden könne. Die Rückzahlung der geleisteten Mehrarbeit in Form einer Verringerung der Stundenverpflichtung soll nach ihren Worten erst am Ende ihrer Lebensarbeitszeit erfolgen. Viele Lehrer Niedersachsens empfinden angesichts dieser Änderung der Geschäftsgrundlage Empörung und Zorn über die Entscheidung der niedersächsischen Landesregierung. Dies kommt in den Stellungnahmen der Interessenverbände zum Ausdruck. Der Schulleitungsverband Niedersachsen (SLVN) nennt den Beschluss eine „Verhöhnung unseres Berufsstandes“, wie es in einer Pressemitteilung vom 15. April heißt. Quer durch die Verbände der Interessenvertretungen der Lehrkräfte aus verschiedenen Schulzweigen ist in den Stellungnahmen eine breite Front der Ablehnung vorhanden. Der Schulleiterverband erinnert daran, „dass etwa 80 Prozent der Lehrkräfte die Pensionsgrenze gar nicht gesund erreichen und wenn man weiß, dass immer mehr junge Lehrkräfte aus Belastungsgründen schon bei Dienstantritt mit verringerter Stundenzahl beginnen, dann verschärft diese Hiobsbotschaft das Problem in den Schulen erheblich.“ Der GEW-Vorsitzende Eberhardt Brandt ergänzt: „Für junge Kolleginnen und Kollegen bedeutet dies, dass sie 35 Jahre oder sieben Legislaturperioden auf die Entlastung der 10 Jahre lang unentgeltlich geleisteten Überstunden warten sollen, die ihnen nach geltendem Recht in diesem Jahr zusteht“. Der Realschullehrerverband spricht davon, dass der Kabinettsbeschluss die „Stimmung in den Schulen drastisch verschlechtert“ hat.

Die Sichtweise der Kultusministerin ist eine andere. Sie lobt in dem erwähnten Brief zunächst die Lehrkräfte für ihren geleisteten Einsatz: „Sie leisten weit mehr als Wissensvermittlung. Sie vermitteln Werte, Sie geben Orientierung, Sie sind oft Vorbild und Identifikationsfigur. Deshalb erkenne ich Ihre berufliche Tätigkeit in besonders hohem Maße an“. Die Situation in Niedersachsen erfordere jedoch „zu einem gegenüber der Prognose von 1998 erhöhten Bedarf an Lehreriststunden und damit an Lehrerinnen und Lehrern, die diese Stunden auch erteilen“. Sie wirbt sodann um „Unterstützung bei dem vorgeschlagenen Weg“.

Die oppositionellen Landtagsparteien SPD und Grüne sprachen heute ebenfalls von einem Wortbruch der Ministerin. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag, Wolfgang Jüttner, forderte den Rücktritt der Ministerin: „Ich glaube, dass Frau Heister-Neumann nicht mehr auf die Füße kommt in diesem Ressort.“ Christa Reichwaldt von der Linksfraktion bescheinigte der Ministerin, die erst mit dem Amtstritt der neuen Landesregierung den Posten von ihrem Vorgänger Bernd Busemann (ebenfalls CDU) übernommen hatte, einen fulminanten Start in ihrem Amt: „Wenn man davon ausgeht, dass eine neue Regierung ihre politischen Schweinereien im ersten Regierungsjahr begeht, hat Frau Heister-Neumann einen grandiosen Start und ihr Soll erfüllt.“

Eine SPD-geführte Landesregierung hatte die umstrittene Arbeitszeitregelung 1998 eingeführt. Die Mehrarbeitszeitverpflichtung war damals mit steigenden Schülerzahlen begründet worden. Die Regelung sollte höchstens zehn Jahre dauern und die Lehrkräfte höchstens bis zu ihrem 50. Lebensjahr belasten. Die Kultusministerin zeigte kein Verständnis für die Kritik am Vorgehen der Landesregierung, die Rückzahlung der geleisteten Mehrarbeit bis zur Pensionierung der Lehrer auszusetzen: „Wir hätten auch vorschlagen können, die Arbeitszeit der Lehrer zu erhöhen.“

Themenverwandte Artikel

Quellen