Kurnaz-Affäre: Steinmeier würde heute nicht anders entscheiden

Artikelstatus: Fertig 22:41, 29. Mär. 2007 (CEST)
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Berlin (Deutschland), 29.03.2007 – Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte heute vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zum Fall des Deutsch-Türken Murat Kurnaz aus, der – wie man heute weiß – mehrere Jahre unschuldig im US-Gefängnis Guantánamo auf Kuba einsaß. Nach Ansicht politischer Beobachter geht der amtierende Außenminister Steinmeier aus der heutigen Sitzung des Bundestags-Untersuchungsausschusses gestärkt hervor. Zuvor hatte ihn der ehemalige Innenminister Schily durch die Übernahme der politischen Verantwortung für die Entscheidungen im Fall Kurnaz entlastet.

Steinmeier trug unter der rot-grünen Bundesregierung Verantwortung als Kanzleramtsminister und war in dieser Eigenschaft mit dem Fall Kurnaz befasst. In seiner mit Spannung erwarteten Aussage vor dem Untersuchungsausschuss wies Steinmeier die gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Wesentlichen zurück. Er sagte: „Ich würde mich heute nicht anders entscheiden.“ Die Entscheidung beruhte auf Stellungnahmen der bundesdeutschen Sicherheitsdienste, die Kurnaz als Sicherheitsrisiko eingestuft hätten, so Steinmeier: „Spitzen der deutschen Sicherheitsdienste haben mir im Oktober 2002 Murat Kurnaz als Sicherheitsrisiko geschildert, und ich hatte keinen Grund, daran zu zweifeln.“ Die in der Öffentlichkeit wiederholt vorgetragene Behauptung, die USA hätten der deutschen Bundesregierung die Freilassung Kurnaz' angeboten, wies Steinmeier mit den Worten zurück: „Es gab weder ein offizielles noch inoffizielles Angebot von Seiten der USA im Oktober 2002 und auch nicht später.“

Am gleichen Tag, jedoch vor der Aussage Steinmeiers, wurde heute der ehemalige Innenminister Otto Schily (SPD) zum Fall Kurnaz und seiner Verantwortung in diesem Fall befragt. Schily wies zwar eine direkte persönliche Verantwortung im Fall Kurnaz zurück („Ich war zu keinem Zeitpunkt mit dem Fall unmittelbar befasst“), übernahm jedoch als damals amtierender Innenminister die politische Verantwortung für die Entscheidung der Bundesregierung im Jahr 2002. Diese Aussage wollte er jedoch offenbar nicht als Eingeständnis eines Fehlers gewertet wissen. Er schätzte die Handlungsweise der damaligen Bundesregierung im Gegenteil als „völlig korrekt“ ein. Er teilte auch die von Steinmeier vertretene Position, dass Kurnaz vor dem Hintergrund der Sicherheitslage nach dem 11. September 2001 als Sicherheitsrisiko angesehen worden war.

Der türkischstämmige, in Bremen lebende Murat Kurnaz hatte sich im Oktober 2001, also einige Wochen nach den Terroranschlägen vom 11. September, in Pakistan aufgehalten, wo er von Sicherheitskräften festgenommen, an die USA übergeben und Anfang des Jahres 2002 nach Guantánamo gebracht worden war. Auf Intervention der neugewählten deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel durfte Kurnaz dann im August 2006 nach Deutschland ausreisen. Die mit dem Fall befassten Mitglieder des Untersuchungsausschusses versuchen nach wie vor zu klären, ob es tatsächlich im Herbst 2002 ein Angebot der USA zur Freilassung und Ausreise Kurnaz' nach Deutschland gegeben hat oder nicht.

Als Kanzleramtschef koordinierte Steinmeier unter Bundeskanzler Schröder die Entscheidungsprozesse zwischen Innenministerium, Außenministerium und Kanzleramt. In dieser Funktion leitete Steinmeier regelmäßig die so genannte Präsidentenrunde im Kanzleramt, an der die Chefs der Sicherheitsdienste teilnahmen. Steinmeier relativierte zwar die Bedeutung dieser Runde mit den Worten: „Präsidentenrunden sind keine oberste Ermittlungsbehörde.“ Der CDU-Abgeordnete Willy Wimmer kennzeichnete die Rolle Steinmeiers jedoch mit einer aussagekräftigen Metapher. Steinmeier, so Wimmer, sei die „Spinne im Netz des Kanzleramtes“ gewesen. Diese Rolle Steinmeiers, so unterschiedlich sie von Politikern je nach eigenem politischen Standort bewertet wird, ist ursächlich für den gegenüber dem amtierenden Außenminister aufgebauten öffentlichen Druck.

Nach Ansicht politischer Beobachter geht Steinmeier gestärkt aus der heutigen Ausschusssitzung hervor. Steinmeiers Parteikollege Hans-Ulrich Klose sieht die Position des Außenministers nach seiner heutigen Aussage „nicht gefährdet“. Die Kritik an Steinmeier von Vertretern politischer Parteien geht inzwischen nicht mehr so weit, dass sein Rücktritt gefordert würde. Diese Position vertreten lediglich noch Vertreter der Linkspartei. FDP und Grüne halten sich mit Rücktrittsforderungen ebenfalls zurück. Die CDU, so schätzt es der „Spiegel“ ein, will Steinmeier als Minister nicht verlieren.

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