Kernkraftgegner verzögern den Zeitplan eines Castortransports ins Zwischenlager Gorleben

Veröffentlicht: 23:18, 10. Nov. 2008 (CET)
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Dannenberg (Elbe) / Gorleben (Deutschland), 10.11.2008 – Tausende Demonstranten behinderten den elften Transport hochradioaktiven Abfalls in so genannten Castoren in das zentrale Zwischenlager für atomare Abfälle in Gorleben. Damit wurde der Zeitplan für den Transport erheblich verzögert. Ursprünglich war die Ankunft für den heutigen Montagmorgen geplant. Am Abend war der Transport jedoch immer noch nicht am Ziel eingetroffen. Auf der Straße zum Zwischenlager veranstalteten friedliche Demonstranten seit Samstag eine Sitzblockade. Die Polizei war stundenlang damit beschäftigt, die Demonstranten wegzutragen. Auch auf dem letzten Teilstück des Transports, zwischen dem Verladebahnhof Dannenberg und dem Zwischenlager Gorleben, organisierten die Atomkraftgegner verschiedene Aktionen zur Störung des Transports. So wurde die Straße an einer Stelle von Traktoren gesperrt. An anderer Stelle hatten sich Aktivisten an Betonklötze gekettet. Beobachter schätzten ein, dass die Bewegung gegen die Castortransporte nach Gorleben in diesem Jahr wesentlich mehr Zulauf erhalten hat als in den Vorjahren. Eine Rolle könnten dabei die Berichte über das Desaster des Salzstocks Asse II gespielt haben, wo nach Greenpeace-Angaben etwa 126.000 Fässer mit leicht- und mittelradioaktivem Atommüll eingelagert worden sind, vermuten Beobachter. Dort war Grundwasser in das stillgelegte Salzbergwerk eingedrungen.

Am Morgen hatte das Umladen der elf Castor-Spezialbehälter am Verladebahnhof Dannenberg auf Speziallastwagen begonnen. Der Zug mit dem hochradioaktiven Abfall aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague war dort aufgrund von Protestaktionen von Kernkraftgegnern bereits mit 14-stündiger Verspätung eingetroffen. An der Bahnstrecke war es dabei auch zu teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Schlagstöcke ein. Mehrere Demonstranten wurden dabei verletzt. Nach Polizeiangaben wurden mehrere hundert festgenommene Anti-KKW-Aktivisten inzwischen wieder frei gelassen. Die Polizeiführung des Einsatzes warf einigen Demonstranten eine erhöhte Gewaltbereitschaft vor. So sei mit Signalmunition auf Polizeihubschrauber geschossen und Gleise seien unterhöhlt worden. Sicherheitskräfte schätzten ein, dass sich unter den Demonstranten auch etwa 800 bis 1000 gewaltbereite sogenannte „Autonome“ befanden.

Nach Greenpeace-Angaben setzen die bei dem diesjährigen Transport eingesetzten Castorbehälter im Vergleich zu den letzten Jahren bis zur 500-fachen Menge an radioaktiver Strahlung frei. Messungen von Mitgliedern der Umweltorganisation ergaben in einem Abstand von 14 Metern von den Behältern noch eine Neutronenstrahlung von 4,8 Mikrosievert pro Stunde. Die Strahlung liege damit um 40 Prozent höher als beim Castor-Transport 2005. Diese Dosis liege vermutlich zwar noch unterhalb des Grenzwertes. Nach einem mehrstündigen Aufenthalt in der Nähe der Castor-Behälter, wie dies für die begleitenden Demonstranten und Polizisten gilt, müsse jedoch davon ausgegangen werden, dass die zulässige Strahlen-Jahresdosis bereits erreicht werde. Heinz Smietal, Greenpeace-Sprecher, kritisierte: „Die Belastung des Begleitpersonals, der Anwohner und Demonstranten ist unverantwortlich.“

Schema der Entstehung radioaktiver Abfälle

Die Auseinandersetzungen um den Castor-Transport finden vor dem Hintergrund einer energiepolitischen Diskussion in Deutschland statt, in der von wesentlichen Teilen der CDU/CSU und anderen Befürwortern der Kernenergie wie der FDP der im Jahr 2001 erreichte Konsens mit der Atomindustrie in Deutschland („Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung“) wieder in Frage gestellt wird. Dieser Konsens sah den Ausstieg aus der Atomkrafttechnologie in Deutschland bis zum Jahr 2020 vor. Nach der nächsten Bundestagswahl könnten sich die politischen Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag jedoch zugunsten der Befürworter der Kernenergietechnologie wieder ändern. Politische Beobachter vermuten, dass das Thema Kernenergie und die Frage der Endlagerung der atomaren Abfälle ein Wahlkampfthema im kommenden Bundestagswahlkampf werden könnte. Frank Schwabe, klimapolitischer Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion: „Wir freuen uns auf dieses Wahlkampfthema.“

Das atomare Zwischenlager Gorleben ist zugleich für die Gegner der Kernkraftnutzung in Deutschland deshalb zum Symbol ihres Widerstandes geworden, weil es darauf hinweist, dass die Frage der Endlagerung des radioaktiven Abfalls in Deutschland nach wie vor nicht gelöst ist. Das Abfalllager Gorleben (ALG) besteht aus mehreren oberirdischen Lagerhallen. Da ist zum Einen das 1984 gebaute Abfalllager Gorleben (ALG) mit 15.000 Kubikmeter Platz für radioaktive Abfälle, die dort in Rundbehältern aus Stahl, Beton oder Gusseisen gelagert werden. Außerdem befindet sich auf dem Gelände das Transportbehälterlager Gorleben (TBL-G) mit 5.000 Quadratmetern Nutzfläche und 420 Stellplätzen für so genannte HAW-Glaskokillen mit eingeschweißten radioaktiven Abfällen aus La Hague. Die Halle ist zur Aufnahme der 108 Behälter mit jeweils 28 Glaskokillen aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage vorgesehen, zu deren Abnahme Deutschland vertraglich verpflichtet ist. Die Frage eines Endlagers für atomare Abfälle in Deutschland ist seit Jahrzehnten nicht geklärt. Die CDU/CSU vertritt dazu die Position, dass die Salzstöcke bei Gorleben als Endlager weiter ausgebaut werden sollten, während Bundesumweltminister Sigmar Gabriel und die SPD die Frage der atomaren Endlagerung nicht durch Gorleben gelöst sehen. Am Montag erklärte der Bundesumweltminister, bis zum Jahr 2035 müsse die Frage der Endlagerung gelöst werden. Seiner Ansicht nach sprechen viele Argumente gegen Gorleben und eher für andere Standorte. Seit 2001 ruhen die Arbeiten für den Ausbau des Salzstocks Gorleben als atomares Endlager.

Die Betreibergesellschaft weist auf ihrer Internetseite (kernenergie.de) darauf hin, dass in Deutschland jährlich „500.000 Tausend Versandstücke mit radioaktiven Stoffen“ aus „Krankenhäusern, Forschungseinrichtungen, Universitäten und industriellen Anwendungen“ über die Straßen des Bundesgebietes befördert werden. Diese seien „schwach- bis mittelradioaktiv“ und würden in Sammelstellen auf Länderebene gesammelt. Auch auf dem Gelände von Kernkraftwerken in Deutschland werden radioaktive Abfälle – meist abgebrannte Brennelemente – zeitweilig, das heißt maximal 40 Jahre, zwischengelagert. Im Jahr 2007 gab es in Deutschland 382 genehmigungspflichtige Transporte von Kernbrennstoffen. Gorleben sei der einzige Standort in Deutschland, der eine Genehmigung für die Lagerung von Behältern mit den Abfällen aus der Wiederaufarbeitung besitze.

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Quellen