Kanzler Scholz verliert das Vertrauen im Bundestag
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Scholz verliert die Vertrauensfrage
Weg zu Neuwahlen frei
Berlin (Deutschland), 17.12.2024 – In seiner gestrigen Sitzung hat der Bundestag dem Bundeskanzler Olaf Scholz das Vertrauen entzogen. Der Bundeskanzler hatte gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes die Vertrauensfrage gestellt.
- Erklärung des Bundeskanzlers
Das Ziel der von ihm gestellten Vertrauensfrage, erklärte der Bundeskanzler in einer halbstündigen Erklärung, sei die Bundestagswahl 2025 vorzuziehen. Begründet hat dies Scholz damit, dass nun grundsätzliche Entscheidungen über den Kurs in Deutschland getroffen werden müssen. Diese seien „so grundlegend, dass sie vom Souverän selbst getroffen werden“ müssen. Die Schlüsselfrage für Deutschland sei: „Trauen wir uns zu, als starkes Land kraftvoll in unsere Zukunft zu investieren?“, so der SPD-Politiker.
Die drängendsten Fragen der Zukunft seien der Zusammenhalt der Gesellschaft, die Erhaltung des Wohlstandes sowie längst überfällige Investitionen. Scholz forderte, dass die Investitionen in die Ukraine und die Bundeswehr nicht gegen die Bereiche der Gesundheit, Pflege, Rente und leistungsstarke Kommunen aufgerechnet werden dürfen.
„Politik ist kein Spiel […] In eine Regierung einzutreten, dafür braucht es die nötige sittliche Reife“ sagte der Kanzler in Richtung seines ehemaligen Koalitionspartners FDP. „Wer in eine Regierung eintritt, der trägt Verantwortung für das ganze Land“ fuhr Scholz fort. Und da Scholz die Uneinigkeit innerhalb der Regierung nicht weiter habe Dulden können, habe er im November 2024 den Bundespräsidenten den Bundesfinanzminister Christian Lindner zu entlassen.
Dann skizzierte der Bundeskanzler, der auch in der kommenden Wahl als Kanzlerkandidat der SPD antritt, für welche Inhalte er eintritt: Investitionen in die Bundeswehr, 5G, Straße, Schiene und Wirtschaft, insbesondere in Zukunftstechnologien. Als weitere Absichten: Bürokratieabbau, stabile Energiepreise, Modernisierung der Schuldenbremse und weiterhin keine Lieferung von Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine. Im sozialen Bereich setzt Scholz auf die Stabilisierung der Rente, Senkung der ermäßigten Mehrwertsteuer auf 5 Prozent, die Erhöhung des Mindestlohnes auf 15 Euro.
- Aussprache im Plenum
Der Scholz-Rede folgte eine 120-minütige Aussprache mit Rednern aller Parteien:
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Friedrich Merz. MdB
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Robert Habeck, MdB
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Christian Lindner, MdB
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Rolf Mützenich, MdB
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Alice Weidel, MdB
Als Erstes sprach der Oppositionsführer Friedrich Merz von der CDU. Merz sagte der Umgang mit der FDP und Christian Lindner seitens des Bundeskanzlers sei respektlos und „eine blanke Unverschämtheit“.
Der heutige Tag sei, so Merz, ein „Tag der Erleichterung" für Deutschland. Der CDU-Chef warf dem Bundeskanzler Versagen vor: „Herr Bundeskanzler, Sie haben Ihre Chance gehabt; Sie haben diese Chance nicht genutzt.“. Merz erinnerte den Bundeskanzler, dass die SPD von den vergangenen 26 Jahren 22 Jahre in der Regierung gewesen ist und die Inhalte hätte umsetzen können. Merz warf Scholz u.a. vor: Nichterreichen des 2-Prozent-Ziels bei der Bundeswehr, Führungsschwäche beim Streit innerhalb der Bundesregierung, das Nichthandeln auf europäischer Ebene, Steuererhöhungen und eine verfehlte Energiepolitik. Die letzten beiden Punkte warf gleichzeitig auch dem Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck vor.
Die Union hingegen setze dem Stillstand und der Umverteilungspolitik von SPD und den Grünen Leistungsbereitschaft und Wettbewerbsfähigkeit entgegen: Erleichterung für Unternehmen, Steigerung der Arbeitszeit, Änderungen bei der Energiepolitik und beim Bürgergeld sowie Steigerung im Hinzuverdienst bei Rentnern auf 2000 € steuerfrei bei gleichem Renteneintrittsalter.
Robert Habeck warnte als nächster Redner vor der Sorglosigkeit: „Es gibt keine Garantien, dass wir nach einer Neuwahl schnell und reibungslos zu einer neuen Regierung kommen.“ Da sich die Wirklichkeit nicht ändern werde, werden wieder schwierige Bündnisse bevorstehen. Alle Akteure müssten In der Lage zu sein, Kompromisse zu schließen.
Habeck kritisierte die Union für ihre ablehnende Haltung zu Vorschlägen, die aus seiner Sicht „keine politische Farbe haben“, etwa zur Wirtschaftsförderung, Energiesicherheit, Gewalt gegen Frauen oder Änderungen beim Schwangerschaftsabbruch. Zudem seien die Vorschläge im Wahlprogramm der CDU/CSU „nicht gegenfinanziert“, „von gestern“ und müssen „zurück in die Werkstatt“.
Der Wirtschaftsminister hob die Erfolge der Regierung hervor: u.a. in der Klima-, Energie- und Sicherheitspolitik, Bekämpfung der Inflation, Bürokratieabbau sowie der Fachkräftezuwanderung.
Als Drittes sprach der gechasste Bundesfinanzminister Christian Lindner. Dieser sehe den Grund dafür, dass die Ampelkoalition die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern verloren habe, darin, dass diese keine Antworten auf die sich zuspitzende Wirtschaftskrise gefunden habe.
Er hob hier insbesondere den Einsatz von „Milliarden Euro“ hervor, der eingesetzt werden sollen, um die Mehrwertsteuer zu senken, was keinen einzigen Arbeitsplatz bringe. „Prinz Karneval kann am Rosenmontag Kamelle verteilen, um populär zu werden, aber die Bundesrepublik Deutschland darf so nicht regiert werden.“
Auch Lindner forderte wie Merz eine höhere Leistungsbereitschaft und Bürokratieabbau und kritisierte das Bürgergeld.
Auf Christian Lindner folgte Rolf Mützenich am Rednerpult. Seinem Vorredner hielt der SPD-Fraktionsvorsitzende die Art und Weise des Koalitionsbruches rund um das D-Day-Papier vor. Im Weiteren unterstützte Mützenich die Argumente des Bundeskanzlers.
Als nächstes in der Debatte hatte die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel das Wort. Sie stellte der aktuellen Bundesregierung das schlechteste Zeugnis aus, indem sie ihr ein Komplettversagen in der Wirtschafts-, Energie-, Sicherheits- und Sozialpolitik vorwarf. Auch kritisierte sie die Migrationspolitik insbesondere mit Bezug auf den Sturz des Assad-Regimes. Nicht weniger scharf kritisierte Weidel die Politik der Union, insbesondere die Brandmauer gegen die AfD.
Es folgten mehrere Rednerinnen und Redner aus den Reihen der AfD, BSW, FDP, Linke, SPD, Union sowie einige fraktionslose Abgeordnete. Außerdem sprach die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger in ihrer Eigenschaft als aktuelle Präsidentin des Bundesrates.
- Abstimmung und Ergebnis
Art | Stimmen-Ergebnis | |
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ja: | 207 | 28,9 %
|
nein: | 394 | 54,9 %
|
Enthaltung: | 116 | 16,2 %
|
Gesamt: | 717 | Stimmen |
Nach der parlamentarischen Aussprache folgte die namentliche Abstimmung über den Antrag des Bundeskanzlers Olaf Scholz ihm das Vertrauen auszusprechen. Das Ergebnis gab Präsidentin des Deutschen Bundestages Bärbel Bas im Anschluss gegen 16:30 Uhr bekannt (siehe Kasten rechts).
Für die Zustimmung wären 367 Ja-Stimmen notwendig gewesen. Da diese Mehrheit mit nur 207 Stimmen nicht zustande gekommen ist, galt der gestellte Antrag des Bundeskanzlers als abgelehnt. Die Bundestagspräsidentin gekündigte daraufhin an Bundespräsident Steinmeier das Abstimmungsergebnis unverzüglich mitzuteilen.
- Hintergrund
Die 205. Sitzung des 20. Deutschen Bundestages fand am 16. Dezember 2024 von 13:00 Uhr bis kurz nach 16:30 Uhr im Reichstagsgebäude unter Vorsitz der Bundestagspräsidentin statt.
Vorausgegangen war nach monatelangen Streitigkeiten der Bruch der Ampelkoalition in Deutschland am 6. November. Über den Ablauf verständigten sich im Vorfeld der Bundespräsident mit dem Bundeskanzler und den Fraktionen Union, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Der Antrag wurde vom Bundeskanzler am 11. Dezember form- und fristgerecht gestellt und noch am selben Tag als Bundestagsdrucksache verteilt.
Nach der verlorenen Vertrauensfrage hat nun der Bundespräsident 21 Tage Zeit, den Bundestag aufzulösen. Die Bundestagswahl soll dann gemäß der erwähnten Vereinbarung am 23. Februar nächsten Jahres stattfinden.
(Labant)
Links
BearbeitenQuellen
Bearbeiten- tagesschau.de: „Vertrauensfrage:Scholz sieht Deutschland vor Richtungsentscheidung“ (16.12.2024 17:32 Uhr)
- youtube.com: „205. Sitzung des 20. Deutschen Bundestages“ (16.12.2024) (offizieller Kanal des Deutschen Bundestages)
- bundestag.de: „Plenarprotokoll der 205. Sitzung des 20. Deutschen Bundestages“
- gesetze-im-internet.de: „Artikel 68 Grundgesetz“