Juncker-Nachfolge: Europäischer Rat einigt sich auf von der Leyen

Veröffentlicht: 12:31, 4. Jul. 2019 (CEST)
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Brüssel (Europäische Union), 04.07.2019 – Unter ihrer Führung ist das Bundesverteidigungsministerium nicht in der Lage, die Renovierung des Segelschulschiffs Gorch Fock zu stemmen, nun soll Ursula von der Leyen die EU-Kommission leiten und Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker werden. Wer das für einen Witz hält, sieht sich überrascht. Nach einer Marathonsitzung haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union auf Vorschlag von Ratspräsident Donald Tusk die CDU-Politikerin für das Amt nominiert. Der Nominierung muss das EU-Parlament zustimmen.

Ursula von der Leyen – die künftige EU-Kommissionspräsidentin?

Eigentlich hat das Europäische Parlament angekündigt, nur einen Kandidaten zu wählen, der Spitzenkandidat einer Fraktion bei den Europawahlen war. Das hatte den Kreis der Kandidaten auf den CSU-Abgeordneten Manfred Weber, den niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans und die dänische Sozialliberale Margrethe Vestager eingegrenzt, doch hatte keiner dieser Kandidaten die nötige Mehrheit im Europäischen Rat gefunden. Frankreichs Ministerpräsident Emmanuel Macron hatte Vorbehalte gegen Weber gehabt, Timmermans war in den osteuropäischen Staaten auf Ablehnung gestoßen, und Vestager wurden aufgrund der geringen Größe ihrer Fraktion nur geringe Chancen im EU-Parlament eingeräumt.

Muss verzichten: Manfred Weber (CSU)
Foto: Superbass

Mehrere Sitzungsrunden erbrachten kein Ergebnis. Der Nominierung im Rat mussten zwei Drittel der Mitgliedstaaten zustimmen, die gleichzeitig mindestens zwei Drittel der Bevölkerung repräsentieren. Von der Leyen wurde einstimmig mit einer Enthaltung nominiert. Diese Enthaltung kommt aus Deutschland, weil die SPD dieser Personalie nicht zustimmen wollte. Die kommissarischen SPD-Vorsitzenden Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel teilten in einer gemeinsamen Erklärung mit, die Nominierung einer Person, die „überhaupt nicht zur Wahl gestanden hat, kann nicht überzeugen. Damit wurde der Versuch, die Europäische Union zu demokratisieren, ad absurdum geführt“. Unzufrieden zeigte sich auch der frühere EU-Parlamentspräsident Martin Schulz: „Von der Leyen ist bei uns die schwächste Ministerin. Das reicht offenbar, um Kommissionschefin zu werden“, sagte Schulz.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Sonntag, den 30. Juni, den Sozialdemokraten Timmermans vorgeschlagen, nachdem klar wurde, dass sich der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei, Weber, als Kommissionspräsident nicht durchsetzen lassen würde, um zumindest dem Vorbehalt des EU-Parlaments, einer der gewählten Spitzenkandidaten müsse Kommissionschef werden, Rechnung zu tragen.

Doch Merkel hatte nicht den Widerstand in der eigenen Parteifamilie in ihrer Rechnung berücksichtigt. Diese wollten als stärkste Fraktion im Europaparlament den Posten des Kommissionspräsidenten nicht den Sozialdemokraten überlassen, zumindest nicht ohne einen wichtigen Posten, etwa das Amt des Präsidenten des Europäischen Rats, als Ausgleich.

Donald Tusk hätte die EVP vielleicht noch überreden können, doch Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Italien waren vehement gegen Timmermans. Das brachte von der Leyen ins Spiel. Ihr Name war bereits vorher gefallen, als neue EU-Außenbeauftragte. Insbesondere Paris nannte von der Leyen des Öfteren, um dem Eindruck zu begegnen, dass Emmanuel Macron Deutsche an der Spitze der EU generell ablehne.

Soll im Herbst Nachfolgerin von Mario Draghi bei der EZB werden: Christine Lagarde

„Sie hat Erfahrung“, sagte Macron und lobt „ihren Mut und Durchsetzungskraft bei schwierigen Themen“. Merkel und Macron einigten sich in der Nacht zum Dienstag, und am Dienstagmorgen stimmte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán im Namen der Viségrad-Staaten zu. Orbán fuhr damit seine Retourkutsche an Manfred Weber, der sich im Wahlkampf vom ungarischen Ministerpräsidenten distanziert hatte, und Macron konnte so eine Französin, nämlich die derzeitige Präsidentin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde, als künftige Präsidentin der Europäischen Zentralbank durchsetzen.

Auch über die weiteren EU-Schlüsselpositionen wurde entschieden: Neuer EU-Außenbeauftragter soll der bisherige spanische Außenminister Josep Borell werden, und als neuer Präsident des Europäischen Rats ist der derzeitige belgische Premierminister Charles Michel vorgesehen. Außerdem hat man sich darauf geeinigt, dass ein Sozialdemokrat in der ersten Hälfte der Wahlperiode EU-Parlamentspräsident wird und dass dieser Anfang 2022 durch einen Politiker aus der Europäischen Volkspartei abgelöst werden soll.

Auf die Ausgewogenheit der Personalplanung wies der scheidende EU-Ratspräsident Donald Tusk hin, da je zwei Ämter mit einem Mann oder einer Frau besetzt würden. Darüber freut sich auch die österreichische Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein. Sie bezeichnete die erstmalige Nominierung einer Kommissionspräsidentin als „historischer Moment“.

Auch der irische Premierminister Leo Varadkar nannte die Nominierung Lagardes und von der Leyens ein deutliches Zeichen dafür, dass die EU den Weg zu Geschlechtergleichheit voran beschreite. Darauf angesprochen, dass der Europäische Rat das Spitzenkandidaten-Prinzip des Parlaments ignoriere, sagte Varadkar, dass man in der Politik Zugeständnisse machen müsse. Er fügte hinzu, dass Manfred Weber wahrscheinlich den Posten des Parlamentspräsidenten in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode erhalte.

Ob von der Leyen tatsächlich durch das EU-Parlament bestätigt wird, darüber besteht im Moment noch Unsicherheit. Die große Mehrheit der EU-Abgeordneten hatte sich 2014 dafür ausgesprochen, dass der künftige Kommissionspräsident in der Wahl zum Europäischen Parlament als Spitzenkandidat einer Fraktion von den Wählern gewählt worden sein muss und nicht mehr, wie früher und wie nun erneut geschehen, im Hinterzimmer ausbaldowert wird. Führende Vertreter der EU-Abgeordneten hatten mehrfach betont, dass man einen solchen Kandidaten nicht wählen werde. Nun wird sich zeigen, wie glaubwürdig diese Ankündigung war und wie glaubwürdig das EU-Parlament als solches überhaupt ist.

Insbesondere in der eigenen christdemokratischen Fraktion stößt die Nominierung von der Leyens bitter auf: „Man ringt hier noch um Fassung!“ Viele Fraktionsmitglieder wiesen darauf hin, dass sie monatelang für Manfred Weber Wahlkampf betrieben hätten und nun ihren Wählern erklären müssen, dass die Wähler übergangen wurden.

Mit der Nominierung von der Leyens abfinden wollen sich auch die europäischen Sozialdemokraten nicht. „Es ist unakzeptabel, dass populistische Regierungen im Rat den besten Kandidaten verhindern, nur weil er den Rechtsstaat und unsere europäischen Werte verteidigt hat“, beschwerte sich die Fraktionschefin der europäischen Sozialdemokraten, Iratxe García Pérez. Für den SPD-Europaabgeordneten Udo Bullmann ist von der Leyen „als Kommissionspräsidentin völlig unakzeptabel“. Bullmann zweifelt an einer glatten Bestätigung und wies darauf hin, dass es immer noch den Spitzenkandidaten Frans Timmermans gäbe.

Kritik kam auch von den europäischen Grünen. Die Co-Fraktionschefin im EU-Parlament, Ska Keller, sagte: „Diese Hinterzimmer-Lösung nach Tagen der Verhandlungen ist grotesk.“ Der Co-Vorsitzende Reinhard Bütikofer nannte von der Leyens Nominierung eine „Zumutung“.

Die Wahl des EU-Kommissionspräsidenten ist für Mitte Juli geplant. Aus der EVP-Fraktion in Straßburg hieß es einem Bericht auf Spiegel Online zufolge, dass sich von der Leyen bis dahin besser nicht in Straßburg blicken lasse.

Sollte von der Leyen vom EU-Parlament bestätigt werden, wäre sie die erste Frau und die erste Person aus Deutschland seit 60 Jahren auf der Position.


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