Istanbul: Hunderttausende demonstrieren gegen Kandidatur Güls

Artikelstatus: Fertig 22:39, 29. Apr. 2007 (CEST)
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Istanbul (Türkei), 29.04.2007 – Die Furcht vor einer „Islamisierung“ der Türkei mobilisierte heute rund 300.000 Menschen, die auf den Straßen der größten türkischen Stadt Istanbul für eine Beibehaltung der strikten Trennung von Kirche und Staat (Laizismus) und gegen eine befürchtete Islamisierung unter einem möglichen Präsidenten Gül demonstrierten. „Die Türkei ist säkular und wird säkular bleiben“, skandierten die Teilnehmer der Demonstration.

Der amtierende Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan hatte auf eine erneute Kandidatur für das höchste Staatsamt verzichtet, nachdem er sich ebenfalls mit dem Widerstand in Form von Massendemonstrationen gegen sich konfrontiert sah. Abdullah Gül übt in der gegenwärtigen Regierung das Amt des Außenministers aus und gehört der gleichen Partei wie der amtierende Staatspräsident an, der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), zu deren Gründungsmitgliedern er zählt. Die AKP hat ein demokratisch-konservatives Profil mit moderat islamischen Zügen. Gül wurde in Deutschland vor allem durch sein engagiertes Eintreten für eine EU-Mitgliedschaft seines Landes bekannt.

Die Kandidatur Güls spitzte den Machtkampf zwischen divergierenden gesellschaftlichen Kräften zu. Auf der einen Seite stehen die gesellschaftlichen Gruppen, die eine Re-Islamisierung der Türkei betreiben, zu denen viele auch die AKP zählen. Auf der anderen Seite steht vor allem das Militär, das bereits Mitte der 90-er Jahre eine Regierung aus dem Amt gejagt hatte, als eine Gruppierung um Necmettin Erbakan die Türkei in einen islamischen Staat verwandeln wollte. Unterstützung findet das Militär bei breiten Kreisen der Bevölkerung, deren Haltung in der heutigen Demonstration für eine laizistische Türkei zum Ausdruck kommt. Am Freitag hatte die Militärführung das Land durch eine unmissverständliche Stellungnahme zur Kandidatur Güls aufgeschreckt. Die Republik sei „ernsthaft in Gefahr“, und das Militär werde seine Position offen zum Ausdruck bringen, wenn es notwendig sei. Diese Erklärung wurde allgemein als unverhohlene Drohung gegen einen möglichen Präsidenten Gül verstanden. Das laizistisch orientierte Militär befürchtet eine Entmachtung durch einen Präsidenten Gül, der als oberster Befehlshaber Einfluss auf die Zusammensetzung der Armeeführung nehmen könnte.

Nach dem Scheitern des ersten Wahlgangs für Gül, der durch das Parlament gewählt werden muss, schließt sich die Opposition gegen einen möglichen Erfolg Güls zusammen. Durch Fernbleiben beim ersten Wahlgang im Parlament versuchte sie, die Abstimmung für nichtig zu erklären. Inzwischen wird die Auseinandersetzung um eine Fortsetzung des Wahlverfahrens mit juristischen Mitteln geführt. Das Verfassungsgericht soll nun entscheiden, ob der erste Wahlgang wegen Formfehlern ungültig war.

Die AKP verfügt im Parlament über eine absolute Mehrheit. Gül benötigt zu einer Wahl jedoch eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Im dritten Wahlgang würde allerdings eine einfache Mehrheit genügen. Die Opposition fordert vor einer Präsidentschaftswahl durch das Parlament eine Neuwahl des Parlaments, dessen Amtsperiode fast abgelaufen ist, was die regierende AKP jedoch unbedingt vermeiden will. Ihre absolute Mehrheit im Parlament verdankt die Partei dem Wahlsystem, das durch eine Zehn-Prozent-Hürde viele Wählerstimmen unberücksichtigt lässt. Die AKP kann so mit absoluter Mehrheit regieren, obwohl sie bei der letzten Wahl lediglich 32 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Teile der Opposition vermuten, dass durch die 10-Prozent-Hürde fast 40 Prozent der Wählerstimmen, die für kleinere Parteien abgegeben wurde, unter den Tisch fielen.

Außenminister Gül erklärte am Sonntag ungeachtet der Massenproteste und des Streits um das Wahlverfahren, seine Kandidatur für das Präsidentenamt aufrecht erhalten zu wollen. Ein Rückzug von seiner Kandidatur stehe nicht zur Debatte.

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