Internationale Kritik an gewaltsamer Protestauflösung in Russland

Artikelstatus: Fertig 09:49, 19. Apr. 2007 (CEST)
Bitte keine weiteren inhaltlichen Veränderungen vornehmen, sondern einen Folgeartikel schreiben.

Moskau (Russland) / Berlin / Köln (Deutschland) / Brüssel (Belgien) / Washington D.C. (Vereinigte Staaten), 19.04.2007 – Nachdem am vergangenen Wochenende mehrere Protestkundgebungen in Russland gewaltsam aufgelöst wurden, äußerten Politiker international scharfe Kritik an Russlands Vorgehen.

Demonstrationsablauf

Am vergangenen Wochenende veranstaltete die russische Oppositionspartei „Drugaja Rossija“ („Anderes Russland“) ungenehmigte Kundgebungen in Moskau und Sankt Petersburg. Dabei wurden neben Demonstranten auch mehrere Politiker und Medienvertreter festgenommen. Die Anwältin des früheren Schachweltmeisters und Oppositionspolitikers Garri Kasparow, Elena Liptzer, teilte mit, dass alle Teilnehmer der Kundgebung wieder freigekommen seien. Kasparow wurde zu einer Geldstrafe von 1.000 Rubel verurteilt (Wikinews berichtete).

Alexander Schurschow von der liberalen Jabloko-Partei berichtete von der Einziehung von 200.000 Exemplaren einer Zeitung. Diese sollte am Sonntag bei der Kundgebung verteilt werden.

Andere Demonstrationen verliefen problemlos. Eine genehmigte Gegendemonstration in Moskau verlief ebenso ruhig wie eine Kundgebung über die sozialwirtschaftlichen Probleme in Moskau, die auf dem Bolotnaja-Platz abgehalten wurde, sowie eine Kundgebung bei der Staatlichen Lomonossow-Universität in Moskau, die live auf den Nowopuschkinski–Square übertragen wurde.

Ein Sprecher der Moskauer Polizei berichtete von Provokationen der Demonstranten. Sie hätten Sicherheitskräfte als „Faschisten“ bezeichnet.

Kritik aus Deutschland

 
Andreas Schockenhoff (CDU)

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU und Koordinator der deutsch-russischen Beziehungen Andreas Schockenhoff forderte in der Frankfurter Rundschau dazu auf, stärkere Einmischung in Debatten der russischen Innenpolitik vorzunehmen. „Das wiederholte massive und gewalttätige Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten hat dem Ansehen Russlands sehr geschadet und ist einem den europäischen Werten verpflichteten Staat nicht würdig“, so der Politiker in der Berliner Zeitung. Russland habe damit keine Stärke, sondern Schwäche demonstriert. Schockenhoff forderte die Aufklärung des besorgniserregenden Vorgangs, besonders der Gewalt gegenüber deutschen Journalisten. Der CDU-Vertreter führte weiter aus, dass ihm die „Rückschläge bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten, Meinungsfreiheit und Marktwirtschaft (…) sehr große Sorgen“ bereiteten. „Das sind Entwicklungen, die in die falsche Richtung gehen und die vor allem Russland selbst schaden“, so der Politiker weiter.

FDP-Politiker Wolfgang Gerhardt teilte der Berliner Zeitung mit, dass Russland nicht zum ersten Mal überreagiert habe. Es habe ihn nicht überrascht, was in Moskau und Sankt Petersburg vorgefallen sei. Dadurch, dass jeder verdächtigt werde, neige man zu Überreaktionen, so Gerhardt weiter, der noch einen Vorschlag machte: „Wir sollten der russischen Führung klar sagen, dass man nach Regeln spielen muss. Man kann im internationalen Konzert nur mitspielen, wenn man sich auch an die Komposition hält.“

 
Prof. Gert Weisskirchen (SPD)

Gert Weisskirchen von den Sozialdemokraten machte sogar den russischen Präsidenten Wladimir Putin persönlich verantwortlich für die Übergriffe gegen Demonstranten. Niels Annen, der ebenfalls für die SPD tätig ist, hofft, „dass Russland weiterhin den Weg der Demokratie gehen wird“. Besorgnis äußerte er über die Methoden der Polizei Russlands: „Offenbar herrscht im Hinblick auf die Wahlen eine Nervosität. Offenbar soll ein Bündnis der oppositionellen Kräfte verhindert werden.“

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Fritz Kuhn, nannte die willkürlichen Massenverhaftungen am Montag in Berlin „ein bedrückendes Zeichen des zunehmend diktatorischen Charakters des russischen Regimes unter Präsident Putin“ und forderte Gerhard Schröder auf, sein Amt als Vorsitzender im Aufsichtsrat von Gazprom-Tochter Nord Stream AG niederzulegen. Es gehe nicht, dass eine solche Regierung indirekt von einem ehemaligen Bundeskanzler unterstützt werde. Spätestens seit dem Wochenende habe sich die Mär vom „lupenreinen Demokraten“ Putin zur Groteske gewandelt. Die derzeitige Lage in Russland müsse von Bundeskanzlerin Merkel beim kommenden G8-Gipfel kritisch thematisiert werden. Sie müsse politische Initiative ergreifen.

Jürgen Trittin verzichtete auf eine Rücktrittsforderung gegenüber Altkanzler Schröder, verlautbarte jedoch, dass „Kanzlerin wie Außenminister (…) ihre viel beschworenen guten Kontakte zur russischen Regierung schnell und nachdrücklichen nutzen“ müssten. „Die Wahrung und Achtung der Menschenrechte gehört“ zu den Grundwerten von Demokratie und Rechtsstaat, denen auch der G8-Gipfel verpflichtet sei, so der Vize-Fraktionsvorsitzende weiter. Zu Gazprom äußerte sich der Grünenpolitiker wie folgt: „Die Pipeline ist im Interesse Europas – und dieses Interesse Europas zu sichern, dazu ist der Vorsitz Gerhard Schröders im Aufsichtsrat eine Möglichkeit.“ Dies entbinde Russland aber nicht von der Pflicht, die Menschenrechte einzuhalten. Das Interesse Europas sei nicht gewahrt, „wenn bei Putin durch Leisetreterei der Eindruck entstünde, für die Lieferung von Erdgas würde Europa Verletzungen der Menschenrechte in Russland als sekundär ansehen“. Dabei müssten alle etwas unternehmen, „besonders, wenn sie über so exzellente Kontakte zu Putin verfügen wie Gerhard Schröder“, so die weiteren Ausführungen des Politikers. Die Grünen nannten den Vorfall eine „gewaltsamen Niederschlagung friedlicher Demonstrationen in Russland“ und verurteilten ihn „auf das Schärfste“.


In einer Online-Veröffentlichung forderte die Bundesregierung eine lückenlose Aufklärung der Vorkommnisse in Russland. Thomas Steg stellte als stellvertretender Regierungssprecher klar, dass Übergriffe auf arbeitende Medienvertreter „inakzeptabel“ seien. Die Einschränkung der Arbeitsmöglichkeit der Journalisten müsse ebenfalls aufgeklärt werden. „Diese Formen der exzessiven Gewalt sind besorgniserregend“, so Steg, der hinzufügte, dass nach einem Eingriff der örtlichen deutschen Botschaft die Meinung der deutschen Bundesregierung bekannt sein müsse. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel könne bei Bedarf zukünftig das Thema anschneiden. Die FDP und die Grünen verlangten von Bundeskanzlerin Merkel, die innenpolitische Lage der russischen Föderation als Thema bei dem in Heiligendamm stattfindenden G8-Gipfels aufzugreifen. Regierungssprecher gaben an, dass Menschenrechte und Pressefreiheit zwei Themen seien, die bereits regelmäßig bei Treffen mit russischen Vertretern angesprochen würden. Für den 18. Mai ist ein Treffen von Angela Merkel und Wladimir Putin in Samara geplant.

Die Ereignisse in Moskau und Sankt Petersburg wurden laut einem Sprecher des deutschen Außenministeriums sorgenvoll beobachtet. An der Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes sei Berichten zufolge Zweifel aufgekommen.

Internationale Kritik

Die Kommission der Europäischen Union in Brüssel forderte die Einhaltung der Grundrechte, etwa der Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch Russland. „Wir sind sehr besorgt wegen der Vorkommnisse mit der russischen Polizei“, so die Worte einer Kommissionssprecherin am Montag zu Journalisten in Brüssel. Die Frage, ob die Kommission das gewalttätige Vorgehen gegen Demonstranten nicht auch verurteile, beantwortete die Sprecherin mit den Worten: „Wir sind besorgt.“ Meinungs- und Versammlungsfreiheit würden von der Kommission für „sehr, sehr wichtige Werte“ gehalten. Im Europarat, bei der OSZE und den Vereinten Nationen habe sich Russland zur Einhaltung dieser Werte verpflichtet. Die Europäische Kommission glaube, „dass die Respektierung dieser Prinzipien gerade in der Vorwahlphase wichtig ist“. Auch weiterhin sollten „diese Fragen in den ständigen Konsultationen mit Russland“ angesprochen werden. Bei dem Außenministertreffen in Luxemburg werde sich am kommenden Montag eine Gelegenheit ergeben. Die Kommission forderte auch, dass der deutsche Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am kommenden Montag in Luxemburg mit seinem russischen Kollegen Sergei Lawrow die Bedenken der EU ansprechen solle. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nannte die „Formen von exzessiver Gewaltanwendung (…) Besorgnis erregend“.

Die Regierung der Vereinigten Staaten nannte die Protestauflösung nicht akzeptabel. Sie forderte Russland zum Respekt der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit auf. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Dana Perino, gab an, dass die US-Regierung Forderungen nach einer eingehenden Untersuchung unterstütze. Außenministeriumssprecher Sean McCormack bezeichnete den Gewalteinsatz gegen friedliche Demonstranten als beunruhigend. Er meinte, Menschen müssten frei demonstrieren und sich frei äußern können.

Ljudmila Alexeva nannte als Gründerin der Moskauer Helsinki-Gruppe die Verhaftungen „schwere Menschenrechtsverletzungen“. Kasparows Haft habe deshalb angedauert, damit er nicht an der Sankt Petersburger Kundgebung teilnehmen können sollte.

Pressestimmen

Internationale Journalisten begegnen dem russischen Vorgehen gegen Demonstranten kritisch. Die Netzeitung hatte am 16. April Auszüge von fünf Leitartikeln aus fünf Staaten reproduziert.

In Österreich hinterfragte Die Presse, ob die Moskauer Mächtigen „schon völlig durchgeknallt“ seien und wovor sich Putin eigentlich fürchte, da er angeblich in der Bevölkerung Zustimmungsraten von 70 Prozent und mehr habe. Fürchte er sich vor den paar hundert bis paar tausend Kritikern, die ein Putin-freies Russland forderten? Es sei um die Machtbasis schlecht bestellt, wenn es bereits nötig sei, gegen diese eine ganze Polizeiarmee auszusenden. Der Kreml habe dann mit dieser Machtdemonstration gezeigt, was seine eigentliche Schwäche sei.

In der Schweiz untersuchte die Basler Zeitung die Hintergründe und kam zum Ergebnis, dass die Gewalt aus Sicht von Putins Regime durchaus Sinn mache. Aus den Revolutionen in der Ukraine und Georgien habe der Kreml gelernt, da dort die Regierung von Protestdemonstrationen schnell zu Fall gebracht worden sei, nachdem dreiste Wahlfälschungen stattgefunden hätten. Putin wolle deshalb Proteste so klein wie möglich halten und die normalen Bürger einschüchtern. Dies sei eine Strategie, die kurzfristig aufgehen könne, jedoch langfristig „noch selten eine gesunde politische Strategie“ gewesen sei.

In Italien widersprach La Repubblica dem, da die Geschehnisse in Sankt Petersburg und Moskau nicht viel mit denen in Georgien und der Ukraine gemein gehabt hätten. Die Rosenrevolution in Tbilisi sowie die Kiewer orangefarbene Revolution seien durch wochenlange Demonstrationen mit Triumphen zu Ende gegangen. Dies sei nicht mit den „kleinen Demonstrationen“ seit Anfang April vergleichbar, zumal der russische Präsident nicht wie der georgische oder ukrainische ein taumelnder Autokrat sei. Die Macht liege in den Händen Putins, mit dem 70 bis 80 Prozent der russischen Bevölkerung zufrieden seien.

Die nach ihrem Gründer benannte dänische Berlingske Tidende bezeichnete die Demokratie in Russland als „eigentlich nur noch eine Hülle“, da Putin das Land eisern im Griff habe. Freiheit, Meinungsfreiheit und Pluralismus seien nicht existent, stattdessen jedoch Schikanierung politischer Gegner, harte Machtkonzentration und -ausübung. Da die Vereinigten Staaten und die Europäische Union nicht genug Druck auf Putin ausübten, könne dieser seine Angelegenheiten fast problemlos hinter sich bringen. Ein Putsch sei jedoch natürlich nicht möglich. Er müsse – und das sei es, worum es im Kern gehe – von seinen Gegnern mit den Mitteln der Demokratie besiegt werden.

Zum Ergebnis, dass Putins Rücksichtslosigkeit „eine Reihe komplizierter Fragen für den Westen“ aufwerfe, kam die britische Times. Niemals solle man auch nur in geringem Ausmaß von russischem Erdgas abhängig werden. Dies lehre Putins Anwendung der Macht seiner Wirtschaft auf seine Nachbarn. Wie man der Verantwortung gegenüber russischen Dissidenten nachkommen solle, denen im Vereinigten Königreich „ein sicherer Aufenthalt gewährt“ worden sei, sei noch drängender, als eine Antwort auf die Frage zu finden, welche Reaktion folgen solle, „wenn Garri Kasparow ein Märtyrer der Opposition werden sollte“. Die Beantwortung der letzten Frage sei jedoch ein kurzfristiges Ziel.

Festnahme deutscher Medienvertreter

 
Archivhaus des WDR in Köln. Monika Piel ist seit dem 1. April 2007 WDR-Intendantin

Während einer Demonstration in Sankt Petersburg kam es am Sonntag zu einem Angriff russischer Sicherheitskräfte auf Mitarbeiter des Westdeutschen Rundfunks. Der WDR führt die Feder für das Moskauer ARD-Studio. Die parteilose WDR-Intendantin Monika Piel verfasste daraufhin einen Brief an den russischen Botschafter in Deutschland, Wladimir Kotenew, in dem sie gegen die Einschränkung der Berichterstattung durch dieses willkürliche Vorgehen protestierte. Am 16. April teilte die Rundfunkanstalt mit, dass Piel Kotenew gebeten habe, dass Mitarbeiter der ARD künftig in Russland uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen könnten.

Piel bezog sich danach auf einen Bericht des WDR, nach dem ein ARD-Team in Moskau von russischen Polizeikräften attackiert worden sei. Bei dem Vorfall habe man den ARD-Korrespondenten Stefan Stuchlik unter anderem mit einem harten Gegenstand gegen Ohr und Schläfe geschlagen. Ein Tontechniker sei zu Boden geworfen worden. Den Hinweis, dass es sich bei Stuchlik um einen deutschen Fernsehkorrespondenten handelte, hätten die russischen Einsatzkräfte dabei ignoriert. Kotenew wurde von Piel ermahnt, Russland habe in Zukunft solche Einschüchterungsversuche gegenüber Medienvertretern zu unterlassen. Die russischen Sicherheitskräfte seien zu keiner Zeit von den deutschen Arbeitern zu Gewaltanwendung provoziert worden. Die Behauptung der „unbotmäßigen Beobachtung der Sicherheitskräfte“ sei vom WDR als absurd abgewiesen worden. Die Angriffe widersprächen „allen internationalen Standards und Abmachungen über die Arbeit der Presse und der Massenmedien“, schrieb Piel.

Die Schikanen hätten auch am Montag im Fernsehzentrum des russischen Senders MIR angedauert, so Piel weiter. Der Geheimdienst FSB habe die Mitarbeiter der ARD durchsucht und ihnen dabei zeitweise gültige Dokumente entzogen. Der russische Geheimdienst habe damit offenbar eine Schaltung zum ARD-Morgenmagazin verhindern wollen.

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Michael Konken, sandte ebenfalls einen Brief an den russischen Botschafter. Darin wurde die russische Regierung aufgefordert, die Freiheit der Medien zu schützen sowie eine ungehinderte Berichterstattung auch russischer Journalisten ohne Furcht vor Repressalien zu ermöglichen. Bei Demonstrationsveranstaltungen in Moskau und Sankt Petersburg seien Journalisten, auch von der ARD, geschlagen, in ihrer Arbeit behindert und vorübergehend festgenommen worden, so der DJV-Vorsitzende weiter. Michael Konken nannte es eine Aufgabe der Presse, über die russische Politik und dabei sowohl über die Aktivitäten Putins als auch jene der Opposition zu berichten. Es gebe kein Recht der russischen Regierung, die freie Berichterstattung zu vereiteln, betonte Konken.

Stefan Stuchlik berichtete, die Demonstration sei ganz normal und „eine der friedlichsten Veranstaltungen seit langem“ gewesen. Bei dem Übergriff sei Stuchlik verprügelt und ein Tontechniker der ARD umgerannt worden, so der Bericht des Korrespondenten am Sonntagabend in den Tagesthemen. In Moskau kam es bereits am Samstag zur Verhaftung zweier Journalisten des ZDF.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Moskau teilte mit, dass der deutsche Botschafter durch den Protest an der Verhaftung deutscher Medienvertreter die Freilassung eines Fernsehjournalisten erreicht habe. Für Vertreter des ZDF habe sich, so ein Sprecher des deutschen Außenministeriums, die deutsche Botschaft in Russland eingesetzt.

Demonstrationskritische Beobachtung

Ein deutscher Beobachter teilte gegenüber der russischen Internetzeitung russland.ru mit, dass die Demonstrationen, gemessen daran, dass sie nicht erlaubt gewesen seien, „glimpflich abgegangen“ seien. Er sei selbst „bei vielen Demonstrationen“ in den 1960-er- und 1970-er-Jahren „in Deutschland und Europa“ gewesen. Wer nicht wisse, dass es bei ungenehmigten Demonstrationen auch härter zugehe, solle diese nicht besuchen, so der Beobachter weiter, der angab, in nicht genehmigten Demonstrationen in Deutschland damals „brutaler zusammengeschlagen“ worden zu sein. Eine solche Presse wie heute hätte er gerne damals gehabt, führte der Deutsche weiter aus.

Der Beobachter nannte die verhängte Strafe gegen Kasparow eher lächerlich. „Das soll nicht heißen, dass ich das hier in Moskau gutheiße. Ich bin gegen jede Form von Polizeiterror“, so seine weiteren Ausführungen. Er sei jedoch über die Berichterstattung überrascht, die die Demonstranten damals in Deutschland als böse und heute in Russland als gut darstelle. Die Bösen seien nun in der Presseberichterstattung die das Demonstrationsverbot durchsetzenden russischen Polizisten. Auch dass sich „die russischen Neofaschisten“ an den Demonstrationen beteiligten, werde von westlichen Medien mittels gezielter Kameraschwenks verschwiegen.

Russische Innenpolitik

Bei Zerschlagungen teilweise verbotener Demonstrationen der politischen Partei „Drugaja Rossija“ („Anderes Russland“) in Moskau und Sankt Petersburg waren Sicherheitskräfte mit Gewalt gegen Demonstranten vorgegangen, wobei es zu 350 Festnahmen kam. Andere Quellen nennen nur 150 Festnahmen. Währenddessen wurden Medienvertreter in ihrer Arbeit behindert, darunter auch deutsche Fernsehjournalisten. Die Demonstrationen waren gegen Putins Machtpolitik gerichtet.

Augenzeugen berichteten über Übergriffe der OMON-Milizen. So sollen die OMON mit Gummiknüppeln auf friedliche Demonstranten losgegangen sein.

Die Behörden der russischen Föderation verteidigten den Einsatz. Generalstaatsanwalt Juri Tschaika gab an, es seien keine Anzeichen für strafbare Handlungen Moskauer oder Sankt Petersburger Polizisten bekannt. Tschaika gab in Moskau an, nach seinen Informationen sei „alles ohne Gesetzesverstöße“ abgelaufen. Die Handlungen der Sicherheitskräfte seien „angemessen und im Rahmen des Gesetzes“ gewesen, ergänzte ein Polizeisprecher.

Zu den prominentesten Festgenommenen gehören Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow, Schriftsteller Eduard Limonow und eine Tochter von Jegor Gaidar, Maria Gaidar. Alle drei gehören der russischen Opposition an. Kasparow wurde daraufhin von einem russischen Gericht zu einer Geldstrafe von umgerechnet etwa 29 Euro verurteilt, was er scharf kritisierte, da ihm bei einer weiteren Verurteilung eine Gefängnisstrafe drohen kann. Limonow wurde 2001 vom FSB inhaftiert und unter umstrittenen Umständen 2003 wegen angeblicher terroristischer Umtriebe verurteilt.

Kasparow kündigte weitere Demonstrationen an. „Die Straßenproteste sind das letzte vom Gesetz noch erlaubte Mittel, um Druck auf die Staatsmacht auszuüben“, so der ehemalige Schachweltmeister laut der Tageszeitung Kommersant. Putins Gegner müssten nun mehr Menschen auf die Straße holen und die Proteste effizienter organisieren, so Kasparows Forderung.

Zusätzlich stellte die Opposition am Mittwoch ein Programm vor, das möglicherweise als Grundlage für eine Kandidatur bei den kommenden Präsidentschaftswahlen im März 2008 dienen könnte. Michail Kasjanow unterstrich seine Bereitschaft dazu.

Putin wird von Kritikern vorgeworfen, durch Gesetze den Fortbestand der gegenwärtigen Kremlführung gesichert zu haben, selbst nachdem Putin 2008 nicht mehr kandidieren darf.

Gesetze gegen Extremismus verschärft

Die Gesetze gegen extremistische Straftaten in Russland wurden vom Unterhaus am 18. April 2007 einstimmig verschärft. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur ITAR-TASS werden extremistische Vergehen nun mit Schwerverbrechen gleichgestellt. Teilnehmer von „Massenunruhen“ müssen bis zu zwölf Jahre Gefängnis befürchten, für „Rowdytum mit extremistischen Motiven“ sind bis zu acht Jahre Freiheitsentzug vorgesehen. Vandalismus aus ideologischen oder politischen Motiven kann mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden.

Putin-Kritiker fürchten durch die ungenaue Gesetzesformulierung bei gewaltsamen Ausschreitungen eine Anwendung der Gesetze auf oppositionelle Demonstranten. Die Oppositionsangehörige Marina Litwinowitsch („Drugaja Rossija“ / „Das andere Russland“) kritisierte die Gesetzesänderung: „Diese Verschärfung der Gesetze ist eindeutig gegen uns gerichtet.“

Auch die 2005 verbotene Nationalbolschewistische Partei, die in die Organisation der Proteste involviert war, fürchtet eine härtere Gangart. Zurzeit wird von einem Gericht geprüft, ob sie als extremistische Gruppe einzustufen ist.

Im Zusammenhang mit den Protesten vom vergangenen Wochenende wurde Garri Kasparow vom Geheimdienst FSB vorgeladen. Er soll angeblich zu extremistischen Handlungen aufgerufen haben.

Die Regierungspartei verteidigte die Gesetze. Sie seien gegen Faschismus und Nationalismus gerichtet. Wjatscheslaw Wolodin rief als stellvertretender Duma-Vorsitzender zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen Fremdenfeindlichkeit auf.

Beobachter sehen in den Gesetzesänderungen behördliche Entschlossenheit, abweichende Meinungen vor der Parlamentswahl im Dezember 2007 sowie der Präsidentschaftswahl im März 2008 zu unterdrücken.

Boris Beresowski

Hier stand einmal ein Bild von Boris Beresowski, das von den Commons aus eingebunden wurde, dort aber gelöscht wurde.

Der umstrittene Oligarch Boris Beresowski fordert einen gewaltsamen Umsturz

Der Milliardär Boris Beresowski, der sich in London im Exil befindet, droht mit einer Revolution gegen Präsident Putin. Der Oligarch soll bereits Schritte dafür eingeleitet haben: „Wir können dieses Regime nur mit Gewalt stürzen“, so Beresowski im Interview mit dem Guardian. „Nicht mit demokratischen Mitteln“ ließe sich ein russischer Regierungswechsel durchführen, jedoch mit Gewalt und Druck. Aus dem Umfeld Putins würden bereits Personen einen Umsturz vorbereiten, so Beresowski. Weitere Informationen nannte er wegen der Sensibilität der Daten nicht mehr. Er stehe in Kontakt zu Kritikern des Putin-Regimes, die Putin vorwerfen, die Verfassung Russlands zu verspotten, demokratische Reformen zurückzuwerfen und die Opposition aus dem Weg zu räumen.

Später erklärte Beresowski, er habe nicht zu Gewalt aufrufen wollen; jedoch seien Wahlen unter Putins Herrschaft ungeeignet, um Russland in die Demokratie zu führen.

Der Kreml nannte Beresowskis Äußerungen kriminell. Die russische Regierung gehe davon aus, dass britische Behörden einige offene Fragen hätten, so ein Moskauer Regierungssprecher. „London darf niemandem Asyl gewähren, der die russische Regierung mit Gewalt stürzen will“, deshalb müsse überprüft werden, ob Beresowski noch den Flüchtlingsstatus behalten dürfe, so der Sprecher weiter.

Mehrere Forderungen der russischen Regierung nach einer Auslieferung Beresowskis wurden abgelehnt. Im vergangenen Jahr wurde der Oligarch jedoch für ähnliche Äußerungen vom Londoner Außenminister Jack Straw getadelt.

Als Reaktion auf die umstrittenen Äußerungen Beresowskis forderte Russland nun erneut die Aufhebung des Asylstatus des Oligarchen sowie dessen Auslieferung nach Russland. Der russische Generalstaatsanwalt Juri Tschaika forderte nach Berichten russischer Nachrichtenagenturen am Montag das Londoner Innenministerium schriftlich dazu auf.

Meinung von Peter Nowak

Heise-Redakteur Peter Nowak vertritt in seinem Artikel „Kein Schach dem Kreml“ vom 16. April 2007 die Meinung, dass Kasparow keine reale Gefahr für die russische Regierung darstellt. Die russische Staatsmacht sei etwa am vergangenen Sonntag unbeabsichtigt zum besten Verbündeten für Kasparow geworden. Die 3.000 Demonstranten seien verglichen mit der Bevölkerung Moskaus und Sankt Petersburgs nicht viel, jedoch sei die Zahl angestiegen. Kasparow habe somit einen Propagandaerfolg verbucht. Die Aktionen des Politikers würden mehr auf das Ausland als auf die eigene Bevölkerung abzielen, so Nowak weiter. Kasparows Aussage „Zum Glück nehmen jetzt die anderen Freunde von Putin im Westen ihren Hut. Chirac, Blair. Berlusconi ist schon weg, und Bush hat auch nicht mehr viel Zeit“ habe ihm bei der sich unter anderem vor dem US-Raketenabwehrsystem fürchtenden Bevölkerung nicht viel genutzt. Ein weiteres Problem sei die Uneinigkeit der Partei Kasparows, da man sich nur darin einig sei, dass Putin abgewählt werden müsse. Der Mangel an wirtschaftlichen Alternativen sei jedoch der größte Nachteil der Opposition. Der Parteiplan sei für die Wirtschaft vage, und Bündnisse mit anderen Parteien würden vermutlich fragil sein. Diese könnten deshalb dem Kreml nicht gefährlich werden.

Auch Boris Beresowski, der offen zu Putins Sturz aufruft, sei ein Minuspunkt für Kasparow, da die russische Politik dies für sich ausnutzen könnte, weil sich die Opposition nicht ausdrücklich davon distanziere. Ein Verbot von Parteien, die sich nicht von solchen radikalen Ansichten distanzierten, sei auch im restlichen Europa gerne von der Bevölkerung gesehen. Beim harten Vorgehen gegen friedliche G8-Gipfel-Gegner 2006 habe die russische Regierung auch viel Verständnis von europäischen Staaten bekommen.

Themenverwandte Artikel

Quellen

Demonstrationsablauf und Demonstrationskritische Beobachtung

Kritik aus Deutschland

Festnahme deutscher Medienvertreter

Internationale Kritik

Russische Innenpolitik

Gesetze gegen Extremismus verschärft

Boris Beresowski