Gaddafi in der Sahara beerdigt

Veröffentlicht: 23:58, 25. Okt. 2011 (CEST)
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Sirte (Libyen), 25.10.2011 – Nach einem Fernsehbericht des arabischen Senders Al-Dschasira ist der frühere libysche Machthaber Muammar al-Gaddafi am Dienstagmorgen, dem 25. Oktober, an einem unbekannten Ort in der Sahara beerdigt worden. Der regierende Übergangsrat bestätigte dies. Gaddafi und sein Sohn Motassim waren am Donnerstag, dem 20. Oktober, von den Rebellen in Sirte festgenommen worden, der Geburtsstadt des ehemaligen libyschen Herrschers. Kurz darauf wurden sie erschossen. Der Übergangsrat kündigte an, die Todesumstände untersuchen zu lassen.

Muammar Gaddafi (1942–2011)
Archivbild von 2003: Agência Brasil

Nach einer kurzen islamischen Zeremonie wurde Gaddafi in einem entlegenen Gebiet in der Sahara beigesetzt. Mit ihm wurden sein Sohn und der ehemalige Verteidigungsminister Abu Bakr Younis beerdigt. Durch die Geheimhaltung soll vermieden werden, dass sich Gaddafis Grab zu einer Pilgerstätte für seine Anhänger entwickelt; außerdem wird sonst Vandalismus befürchtet. Bis zu der Beerdigung seien die Leichen vier Tage lang in einer Fleisch-Kühlkammer in Misrata ausgestellt worden, berichtet der englische Independent. Nur für die Autopsien durch den Pathologen Dr. Othman el-Zentani seien die Toten kurz verlegt worden. Erst am Montag sei die Vorführung beendet worden, da die Leichname zunehmend mehr verwesten. Gaddafis Stamm hatte nach Informationen von Al-Dschasira um die Leichen angefragt, um sie in Sirte zu beerdigen. Der Übergangsrat hatte die Bitte abgelehnt. Stammesangehörige hätten allerdings an dem Grab beten dürfen, berichtet CNN.

Weiter berichtet die Website des amerikanischen Fernsehsenders, dass ein angebliches Testament im Internet erschienen sei. Eine Verifizierung stehe noch aus. Gaddafi habe in der Kleidung, die er bei seinem Tod trug, beerdigt werden wollen. Weiter sei sein Wunsch gewesen, nach islamischem Recht auf dem Friedhof in Sirte bei seinen Verwandten beerdigt zu werden. Zum Schluss habe er um eine gute Behandlung seiner Familie gebeten, insbesondere der Frauen und Kinder. „Ich zähle auf meine Anhänger, dass sie weiter Widerstand leisten und jeden ausländischen Angreifer gegen Libyen bekämpfen, heute, morgen und immer“ und „Die Menschen sollen wissen, dass wir unsere Sache für ein ruhiges und sicheres Leben verkaufen hätten können. Wir haben viele Angebote erhalten, aber Konfrontation, die Pflicht und die Ehre gewählt“, zitiert CNN.

Mit dem Begräbnis endet die 42-jährige Herrschaft des Diktators endgültig. Sein Sohn Saif al-Islam bereitet nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters seine Flucht vor. Er wolle an der libyschen Grenze zu Niger und Algerien mit einem gefälschten Pass das Land verlassen. Unterstützt werde er dabei vom früheren Geheimdienstchef Abdullah al-Senussi, Gaddafis Schwager. Die Region soll schwer zu überwachen sein.

NATO-Einsatz nicht beendet?

Trotz Gaddafis Tod könnte der Militär-Einsatz der NATO in Libyen fortgesetzt werden. Laut CNN hat der US-Verteidigungsminister Leon Panetta auf einer Pressekonferenz während seines Japanbesuches verkündet, der Nationale Übergangsrat wolle die NATO-Streitkräfte in Libyen behalten. „Ich bemerkte heute Kommentare von einigen aus der libyschen Führung, dass die NATO ihre Mission in dieser Zwischenzeit fortsetzen solle, während sie ihre Regierung einsetzen“, wird Panetta zitiert. Die Entscheidung wolle er der NATO überlassen. „Tatsächlich ist es unser jetziges Anliegen, jede uns mögliche Hilfe anzubieten, um medizinische Entlastung und Beistand für die große Anzahl Verletzter in Libyen zu leisten (…).“ Im September hatte Englands Premier David Cameron angekündigt, den Einsatz bis zu Gaddafis Tod fortsetzen zu wollen. Laut einem Bericht des österreichischen Standards sieht die NATO ihre Ziele nun erfüllt. Alle libyschen Gebiete seien unter der Kontrolle des Nationalen Übergangsrates, sagte Charles Bouchard, kanadischer General und Kommandeur des Einsatzes am Montag.

Vorwürfe gegen Rebellen

Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) haben unterdessen 53 Leichen in Sirte gefunden. Die Toten, von denen einige mit Plastikbändern gefesselt worden seien, seien teilweise durch die Bewohner der Stadt als Gaddafi-Anhänger identifiziert worden. Soldaten des Übergangsrates hätten sie getötet. Die Leichen hätten nahe einem Hotel gelegen, das von Rebellen besetzt gewesen sei. Die Spuren würden auf eine gemeinsame Tötung vor Ort hinweisen. HRW forderte eine Untersuchung des Vorfalls. Laut Informationen von SPIEGEL ONLINE soll jedoch noch keine Ermittlung eingeleitet worden sein. Im Gegenteil, es sei bereits mit Aufräumarbeiten begonnen worden. Ein Sprecher des Übergangsrates sagte SPIEGEL ONLINE, sie hätten erst durch den HRW-Bericht am Montag von dem Massaker erfahren. Er kündigte eine Untersuchung an.

Schon seit längerem wurden Vorwürfe gegen die neue Regierung laut. Der damalige Verteidigungsminister der Rebellen, Abd al-Fattah Junis, soll im Juni 2011 von Rebellentruppen erschossen worden sein. Bereits zu Beginn des achtmonatigen Befreiungskampfes Anfang 2011 seien nach SPIEGEL ONLINE Gerüchte über wahllose Tötungen von Gaddafi-Sympathisanten durch die Rebellen bekannt geworden. Die Organisation Human Rights Investigation hatte im Juli 2011 von ethnischen Säuberungen in Libyen berichtet. Insbesondere schwarze Einwohner des Landes seien von Rebellen gejagt und getötet worden. Laut SPIEGEL ONLINE sollen einige Widerstandskämpfer vor allem zu Beginn des Krieges Schwarze gejagt haben, die sie für mutmaßliche Gaddafi-Söldner gehalten hätten. Nach dem Bericht von Human Rights Investigation sollen die Rebellen solche Gerüchte verbreitet haben, sodass Hetzjagden auf Migranten entstanden seien. Momentan gebe es außerdem etwa 7000 Kriegsgefangene, viel zu viele für die überlaufenen Gefängnisse.

Am Montagabend starben mehr als 100 Menschen bei der Explosion eines Treibstofflagers in Sirte. Laut einem Kommandeur des Übergangsrates sollen 50 Menschen verletzt worden sein. Zahlreiche Bewohner der Stadt hätten für Treibstoff angestanden, als durch einen Kurzschluss zwei Tanks explodierten. Es soll sich nicht um einen Anschlag gehandelt haben.

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