Frank Farian gestorben
Veröffentlicht: 22:24, 27. Jan. 2024 (CET) Bitte keine inhaltlichen Veränderungen vornehmen. |
Ein Nachruf
Miami (Vereinigte Staaten), 27.01.2024 –
Frank Farian ist am 23. Januar im Alter von 82 Jahren in seiner letzten Wahlheimat Miami gestorben. Er war der international größte deutsche Musikproduzent, hat weltweit mehr als 800 Millionen Tonträger verkauft.
Seine berühmtesten Schöpfungen waren die Bands „Boney M.“ und „Milli Vanilli“, letztere endete in einem beispiellosen Musikskandal.
Seine Methoden und sein kreativer Umgang mit der Wahrheit werfen für viele einen Schatten auf sein musikalisches Vermächtnis, können es aber nicht verdunkeln. Bis heute sind seine Hits präsent.
Rückblick auf ein bewegtes Leben:
1941 geboren, hatte Franz Reuther, so der eigentliche, bürgerliche Name von Frank Farian, seine Musikalität von der Mutter geerbt, der Vater war im Krieg gefallen.
- Ein Erweckungserlebnis in Luxemburg
Mit gerade einmal 14 Jahren verließ Farian nach dem Hauptschulabschluss die Schule, um im Saarland Koch zu werden. Diese Berufswahl war auch durch die Hungererfahrung der Nachkriegsjahre motiviert. Als Koch war Farian bereits recht erfolgreich, arbeitete zuletzt in einem Hotel in Luxemburg. Aber dann geschah etwas, das ihm ein musikalisches Erweckungserlebnis war: Eines Tages stand ein Festzelt vor dem Hotel, und aus dem kam eine Musik, die ihn fast umhaute. Und die Musik kam nicht von einer Schallplatte, Farian sah „zum ersten Mal im Leben eine echte amerikanische Rock’n’Roll-Band“.
Er selbst erzählte es so: „Ihr Sound blies mich fast aus dem Zelt! Da gab es eine Explosion in meinem Kopf. Ich ging ins Hotel, packte meine Sachen, warf den Koffer aus dem Fenster, unten wartete meine Freundin und fing ihn auf. An der Rezeption sagte ich, dass ich noch ein Bier trinken gehe – und kam nie wieder.“
Franz gründete eine Band, nahm 1964 mit einem alten Tonbandgerät seine erste Platte „Yakety Yak“ auf – in einem ehemaligen Kuhstall im Saarland. Der Schlager „Rocky“ war 1976 der erste große Hit, der Durchbruch, ein Nummer-1-Hit, und Farian war dauerpräsent in der „ZDF-Hitparade“ und in Ilja Richters „Disco“.
Irgendwann war das aber ausgereizt, und Farian zog es weg von Bühne. Sein Musikverlag wollte eigentlich, dass er mit Singen aufhört und nur noch produziert – aber das konnte, das wollte er nicht. Seine Stimme sollte nicht einfach verschwinden.
Dann begab es sich, dass Farian einen neuartigen Hit erschuf: „Baby Do You Wanna Bump“. Und alle Stimmen im Song waren seine eigenen. Was aber, wie er selbst bemerkte, niemand bemerkt hat. Für die Veröffentlichung wählte er das Pseudonym „Boney M.“. Dass er selbst vom Erfolg überrascht war, darf man ihm glauben, denn das Lied schlug ein, avancierte zum echten Hit, wie er später in einem Interview erklärte. Aber nun tat sich ein Problem auf: Man wollte „Boney M.“ für Auftritte buchen – eine Band, die nicht existierte.
Also organisierte Farian über Künstleragenturen eine Truppe aus drei schwarzen Frauen; und einen Mann, denn der wurde noch gebraucht für Farians männliche Stimme im Stück. Die vier Leute aus der Karibik sollten wohl auch Leidenschaft in den eher streng-ruhigen Schlager der späten Nachkriegszeit bringen.
Jetzt also existierte „Boney M.“ nicht mehr nur als Hit-Single auf einem Tonträger.
Die Band war geboren. Und Farian machte ein stimmiges, buntes Spektakel daraus, das für den Zeitgeschmack nichts zu wünschen übrig ließ.
Und er produzierte weitere Hits für sein Tanz-Quartett, das aber nur etwa zur Hälfte mit eigenen Stimmen sang.
Der Rest ist schon fast Geschichte: Mit „Boney M.“ eroberten Songs wie „Daddy Cool“, „Sunny“, „Ma Baker“, „Rasputin“, „Rivers of Babylon“, „El Lute“ und „Brown Girl in the Ring“ den Globus.
„Boney M.“ wurden so erfolgreich, dass sie sogar von Queen Elizabeth geehrt wurden. Farian schickte sie in den Buckingham-Palast, aber blieb selber zu Hause – er musste ja schließlich weiter Hits produzieren in seinem Studio.
Obwohl Farian zeitlebens ein bekennender Erfolgssüchtiger war, lag ihm offenbar wenig daran, selbst in Erscheinung zu treten, er scheute das Rampenlicht.
Auch Michael Jackson bekam von ihm einmal einen Korb, der wollte vier Lieder von ihm haben für sein Album „Dangerous“. Aber Farian war zu beschäftigt damit, Hits für eine neue Band zu produzieren. Diese Band hieß „Milli Vanilli“…
- Milli Vanilli bekamen einen Grammy verliehen und mussten ihn wieder zurückgeben.
Irgendwann ist jeder Hype am Ende, auch „Boney M.“ konnten nicht ewig dominieren. Dann entstand, Ende der Neunziger, „Milli Vanilli“ auf dem Studio-Mischpult und mit „Milli Vanilli“ der große Skandal des Frank Farian. Mit „Girl You Know It’s True“', einer Coverversion, erschuf er einen Hit, und wieder musste zum Liedgut eine Band entstehen, die mit furioser Tanzdarbietung als Katalysator der Farianschen Musik diente. Wieder waren es Schwarze, jetzt ein Duo: Fab Morvan und Rob Pilatus. Von der bunten Schlagertruppe „Boney M.“ waren sie aber weit entfernt, auf ein sehr jugendliches Publikum gemünzt und Sexsymbole.
Aber singen sollte keiner von beiden, Musik und Aufführung waren eine komplett fiktive Kombination. Bis auf wenige Ausnahmen bewegten Fab und Rob nur die Lippen zu Stimmen, die nicht die ihren waren. „Fullplayback“. Neudeutsch auch „Lipsyncing“.
Trotzdem eroberten „Milli Vanilli“ die Popwelt; sie stiegen auf ungeahnte Chart-Höhen, bekamen am Ende einen Grammy verliehen.
Die meisten Beteiligten ahnten, dass diese Fiktion irgendwann auffliegen würde. Dabei wurden Pilatus und Morvan beim ersten Album gar nicht als Musiker aufgeführt; aber später wurde die Unwahrheit auch auf die Plattencover gedruckt, die Täuschung verfestigt.
Und dann flog alles auf: Einer der tatsächlichen Sänger sprach mit der Presse, dann ein technischer Unfall auf der Bühne, das Playback rannte in einer Schleife und die Sänger-Darsteller panisch von der Bühne.
Es war ein Skandal, denn bis dahin hatten die Fans geglaubt, Fab und Rob sängen live und selbst.
Sie fielen in Ungnade, wurden von den Medien verrissen.
Das brachte sie auch persönlich zum Absturz. Rob Pilatus starb Jahre später tragischerweise an seiner Drogensucht.
Fans waren aufgebracht, verbrannten ihre „Milli-Vanilli“-T-Shirts (man kann sie aber immer noch kaufen).
Irgendwo warf man ihre Platten auf einen Haufen und ein Bulldozer fuhr darüber. Die Erregung kannte keine Grenzen.
Plattenkäufer bekamen gerichtlich einen Entschädigungsanspruch zugesprochen.
Und den Grammy mussten sie wieder zurückgeben. Niemand hat diesen Grammy mehr bekommen, auch nicht die echten Sänger, und Farian schon gar nicht.
Was bei „Boney M.“ noch ein offenes Geheimnis war, war bei „Milli Vanilli“ zum Riesenskandal geworden, allerdings war bei „Boney M.“ noch etwa die Hälfte der Stimmen original.
Ob Robert Pilatus und Fabrice Morvan auch selbst singen konnten, darüber gingen die Meinungen auseinander. Farian hielt ihre Stimmen aber für „grottenschlecht“.
Farian bekam von der Wutwelle weniger ab als sein Tanzduo. Er war eben auch immer noch der Mensch im Hintergrund. Er bekannte sich aber durchaus schuldig, gab zu, dass er sich für die Sache durchaus geschämt habe.
Farian war auch kein besonders sozialer Mensch, was die Vergütung seiner Mitarbeiter anging, das große Geld blieb vor allem bei ihm hängen; er hielt schließlich die Rechte.
Das ist nicht untypisch für Erfolgsmenschen, gerade auch in der Popmusikbranche, und Farian war ein bekennender Erfolgsmensch.
Besonders gerecht war das natürlich nicht.
Aber er war eben auch der Autor, der, der die einzigartigen Werke geschaffen hat, mit allen Einschränkungen. „Ich bin ein guter Bastler, kein großer Komponist“, bekannte er freimütig. Das nimmt aber seiner Leistung wenig.
Ungerecht war auch, dass die eigentlichen Sänger gezwungenermaßen in die Anonymität gedrängt wurden. Während „Milli Vanilli“ in Los Angeles den Grammy entgegennahmen, saß Charles Shaw in Mannheim vor dem Bildschirm und war nicht wirklich glücklich. Er wusste, das ist seine Stimme, die jetzt weltberühmt war, aber von ihm wusste die Welt nichts. Noch heute fällt es seinem Umfeld schwer, ihm das zu glauben, man ist eher irritiert als voller Respekt.
Frank Farian war also kein überaus redlicher Mensch. Er hätte auch die Bezeichnung Schlitzohr verdient. Tricksen gehörte bei ihm zum Geschäft. Er soll einmal seiner Plattenfirma statt einem dringend erwarteten fertig produzierten Band einfach ein leeres Tape geschickt haben, nur um sie weiter hinzuhalten…
Übrigens: Als bei „Milli Vanilli“ das Playbackband aus den Fugen geriet, soll das Publikum selbst völlig unbeeindruckt gewesen sein.
Und: Es wurden auch nachher noch massenhaft Platten verkauft und immer noch Millionen an Geld verdient.
Jahre später fällt es manchem schwer, den Skandal zu verstehen.
Heute ist das alles Geschichte. Der Name Frank Farian ist heute verknüpft mit „Boney M.“ und „Milli Vanilli“. Aber das Oevre Farians ist weit größer.
Farian steckt auch in vielen bekannten Musik-Acts wie La Bouche, Meat Loaf und Terence Trent D’Arby & The Touch.
Die Liste der Autorenbeteiligungen und Produktionen von Frank Farian umfasst gut 700 Einträge.
Weitgehend unbekannt ist zum Beispiel, dass von „Boney M.“ auch ein Album mit Weihnachtliedern existiert, obwohl die Single „Mary‘s Boychild“ es als meistverkaufte Single aller Zeiten ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft hat.
Nebenbei entstand „I Just Called to Say I Love You“, unter Farians Mitarbeit in seinem Studio – in Rosbach. Stevie Wonder hatte es sich in nämlich den Kopf gesetzt, den Song in Europa zu produzieren, und als er hörte, dass Farian dort über das modernste digitale Aufnahmestudio verfügte, setzte er sich kurzerhand in den Flieger nach Frankfurt und begab sich von dort in das hessische Provinzdorf, wo Farian lange Jahre wohnte und arbeitete.
- „keine Träume mehr“ ... „Ich will im Studio umfallen und sterben.“
Dass es um Farian in jüngster Zeit eher still wurde, ist ein Eindruck, der täuscht, denn bis heute sind seine Hits präsent, die Melodie von „Rasputin“ feiert seit geraumer Zeit eine Renaissance auf TikTok mit unglaublichen 22 Milliarden Views in 9 Millionen Videos. Da war er auch selber baff. Wieder einmal.
Zeitlebens war Farian ein Workaholic. Zwar sagte er von sich, er habe „alles erreicht“ und habe „keine Träume mehr“, aber Däumchen drehen stand trotzdem nicht auf dem Zettel.
In den letzten Jahren ging es gesundheitlich abwärts; er bekam eine Herzklappe eingesetzt und fühlte sich danach wieder besser.
In einem Spiegel-Interview zu seinem 75. Geburtstag ist als sein letzter Satz zu lesen: „Ich möchte arbeiten, bis ich nicht mehr kann. Ich will im Studio umfallen und sterben.“
Frank Farian ist am Dienstag gestorben. Nach Angaben seiner Agentur ist er in seinem Haus in Miami friedlich entschlafen. Sein bewegtes Leben umfasste 82 Jahre.
Seinem Wunsch gemäß soll er in seiner Heimat Deutschland seine letzte Ruhestätte finden.
Offenlegung: Der Autor bekennt sich dazu verehrender Farian-Fan zu sein.
Zu den entsprechenden Zeiten war „Boney M.“ für ihn so ziemlich die absolute Nummer 2 – nach ABBA.
Allerdings nahm die Wirkung von „Boney M.“ mit der Zeit deutlich ab, im Gegensatz zu ABBA, die mit HiFi- und CD-Klang noch höher in den Olymp der harmonischen Popklänge aufstiegen.
Eines bemerkenswerten Tages fand der Autor aber im elterlichen Wohnzimmer eine unscheinbare CD, mit einem Cover in sehr billiger Aufmachung; darauf stand „Boney M./Happy Christmas“, und wo diese CD hergekommen ist, weiß er bis heute auch nicht, aber dieses Album mit Weihnachtliedern von „Boney M.“ war seine größte musikalische Offenbarung. Er würde es jederzeit in Gold aufwiegen.
Das und genau diese CD mit ihren fast ausnahmslos unfassbar genialen 16 Titeln, die ebenso genial arrangiert sind, haben das Farian-Produkt „Boney M.“ wieder in den Olymp neben besagten ABBA katapultiert oder gar ein wenig höher. Höher geht es nicht. Wenn auch hier die Einschränkung besteht, dass dieses Werk nur an Weihnachten genossen werden kann, aber genau diese Musik ist heute für den Autor gleichbedeutend mit dem Begriff Weihnachten. Es hat ihn möglicherweise davor bewahrt, in die Menschheitsgruppe der dumpfen Weihnachtsleugner zu fallen, also solcher Menschen, die meinen, Weihnachten sei eine furchtbare Sache, die man besser abschaffen sollte. Der Autor war dermaßen beseelt von dieser Musik, dass er sich lange mit dem Gedanken trug, dem Meister Frank Farian seine immense Wertschätzung schriftlich zu kommunizieren, in Form einer huldigenden Fanpost, hat das aber, wie vieles in seinem Leben, prokrastiniert. Nun hat er jäh realisieren müssen, dass es dafür zu spät ist.
Und „Milli Vanilli“?
„Milli Vanilli“ haben den Autor nie besonders interessiert. Es war eine sehr gut hörbare Musik, aber ohne besondere Bedeutung für ihn.
Den Skandal hat er nie so wirklich verstanden, weil für ihn Musik primär eine Sache des Hörens ist und nicht einer Darbietung.
Die Musik allein, die Töne sind die Illusion.
Korrekturhinweis vom 27. Mai 2024: Geburtsdatum und weitere Jahreszahl berichtigt.
Quellen
Bearbeiten- Ein Grossteil von allen Quellen die online zu finden sind.