Früheste komplette Europäer sind 31.000 Jahre alt
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Wien (Österreich) / Litovel (Tschechien), 19.05.2005 – Die bereits 1881 und 1882 in einer der Tropfsteinhöhlen beim südmährischen Dorf Mladec (deutsch: Lautsch) bei Litovel (Littau) in Tschechien entdeckten menschlichen Schädel, Zähne und Knochen sind etwa 31.000 Jahre alt. Damit gelten diese Fossilien als älteste Komplettreste der Art Homo sapiens (vernunftbegabter Mensch) in Europa. Dies berichtet die Direktorin der anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien (NHM), Maria Teschler-Nicola, in der renommierten Wissenschaftszeitschrift "Nature".
Noch älter als die Schädel und Skelettreste von Mladec sind – nach Angaben von Maria Teschler-Nicola - nur noch sehr dürftige Funde aus Rumänien, wo man vor allem Kieferfragmente barg. Teile von Gliedmaßen und archäologische Begleitfunde fehlen dort.
Die Funde von Mladec wurden im 19. Jahrhundert von Forschern der Akademie der Wissenschaften und des damaligen Naturhistorischen Hofmuseums (heute NHM) in der Höhle „Bockova dira“ (früher: "Fürst-Johanns-Höhle") entdeckt. Dabei kamen Reste mehrerer Menschen zusammen mit archäologischen Artefakten zum Vorschein.
Nach Ansicht von Maria Teschler-Nicola haben sich in der Höhle von Mladec, in der die menschlichen Reste lagen, vielleicht Jäger aufgehalten. Es sei aber nicht auszuschließen, dass wilde Tiere die Menschenknochen dorthin verschleppt hätten.
Die Funde von Mladec gelten als typische Hinterlassenschaften aus der Kulturstufe des Aurignacien (vor etwa 35.000 bis 29.000 Jahren), die nach einem französischen Fundort benannt ist. Das Aurignacien war die erste Kulturstufe des modernen Menschen oder Jetztmenschen (Homo sapiens sapiens) in Europa im Gegensatz zur Kulturstufe des Moustérien (vor etwa 125.000 bis 40.000 Jahren) der Neandertaler (Homo sapiens neanderthalensis), die ebenfalls nach einem französischen Fundort bezeichnet wurde.
In Mladec nahm im Juni 1881 und im Juni 1882 der Wiener Archäologe Josef Szombathy (1853-1943), der 1882 die urgeschichtliche Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien gründete, Ausgrabungen vor. Später grub dort der mährische Lehrer und Archäologe Jan Knies (1860-1937). Von 1954 bis 1960 erfolgten Ausgrabungen des Mährischen Museums. Zum Fundgut gehören menschliche Gebeine und fragmentarische Schädel, Tierknochen, knöcherne Werkzeuge (Pfrieme) und Waffen (Lanzenspitzen) sowie eine Halskette aus Tierzähnen.
In den Höhlen von Mladec stieß man sogar auf Bemalungen der Wände, deren exaktes Alter allerdings in der Fachwelt umstritten ist. Unter den zahlreichen typischen Artefakten jener Zeit lagen die so genannten knöchernen „Lautscher Spitzen“, bei denen es sich um Speerspitzen handelt.
Die Jäger und Sammlerinnen aus dem Aurignacien trugen Kleidung aus Tierfellen und -leder etwa nach der Art der nordamerikanischen Indianer des 19. Jahrhunderts. Sie lebten zumeist im Freiland, wo sie Zelte oder Hütten errichteten, lagerten aber auch in Höhlen und Halbhöhlen. Sie jagten Wildpferde, Rentiere, Mammute, Fellnashörner und Höhlenbären und schufen mit Höhlenmalereien und Schnitzereien die ersten Kunstwerke in der Geschichte der Menschheit.
Einige der menschlichen Knochen von Mladec zeigen archaischere Merkmale als andere: beispielsweise eine für heutige Menschen ungewöhnliche Form des Hinterhaupts, große Zähne und breite Gelenke. Laut Maria Teschler-Nicola könnten sie von Neandertalern stammen, die abwechselnd mit modernen Menschen (Jetztmenschen) in Mladec lebten.
Die Menschenreste von Mladec beleben den endlosen Streit der Wissenschaftler über die Herkunft der Jetztmenschen in Europa. Nach der so genannten „Out of Africa 2“-Theorie soll Homo sapiens sapiens vor etwa 40.000 bis 30.000 Jahren aus dem Nahen Osten nach Europa eingewandert sein und den dort seit langem lebenden Neandertaler (Homo sapiens neanderthalensis) mehr oder weniger brutal verdrängt haben. Nach der „multiregionalen Theorie“ dagegen soll sich der moderne Mensch in mehreren Regionen parallel entwickelt haben.
Die Wiener Anthropologin Maria Teschler-Nicola vermutet eher eine größere Variabilität der Merkmale des Homo sapiens. Sexuelle Vermischung von Jetztmenschen mit Neandertalern könnte zwar stattgefunden haben, meint sie, jedoch ohne fruchtbare Nachkommen.