Erneut Demonstrationen und Unruhen in Ägypten

Veröffentlicht: 14:31, 29. Jan. 2013 (CET)
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Kairo / Port Said (Ägypten), 29.01.2013 – In mehreren Städten Ägyptens gibt es seit Freitag Demonstrationen, die an den zweiten Jahrestag der Januar-Revolution erinnern sollen. Fast 50 Personen wurden bis heute Morgen durch diese Unruhen getötet. Am 25. Januar 2011, am Ehrentag der ägyptischen Polizei, gab es in mehreren Großstädten Ägyptens Demonstrationen, in denen es anfangs schlicht und einfach um Brot und Arbeit ging. Reichlich zwei Wochen später, am 11. Februar 2011, trat der damalige ägyptische Präsident Husni Mubarak zurück, und der Oberste Rat der Streitkräfte übernahm die Regierungsgeschäfte.

Demonstrationen am Tahrir-Platz (Archivbild vom 22. Nov. 2011)

Das Fazit zwei Jahre später: Die Ziele der Revolution wurden nicht erreicht. Anstelle der Nationaldemokratischen Partei regieren nun die Muslimbrüder, die sich zum Teil derselben Unterdrückungswerkzeuge bedienen wie ihre Vorgängerin.

Verschiedene oppositionelle Gruppen hatten für den Freitag, den 25.01.2013, zu Demonstrationen aufgerufen. Hier soll nicht nur dem zweiten Jahrestag und der Opfer der Revolution gedacht werden. Die Proteste richten sich auch gegen den neuen Präsidenten Muhammad Mursi, die Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, der Partei der Muslimbrüder, und gegen den Premierminister Hischam Qandil und sein Kabinett. Dem Präsidenten Mursi wird vorgeworfen, die Ziele der Revolution von 2011 verraten zu haben.

Die größte Demonstration findet wie in der Vergangenheit auf dem Tahrir-Platz in Kairo statt. Demonstrationen führten aber auch zum Präsidentenpalast. Weitere Demonstrationen wurden aus Alexandria und Sues gemeldet.

Regierungsgegner und Polizei liefern sich heftige Auseinandersetzungen. Die Polizei setzt massiv Tränengas ein, Protestierende warfen u.a. Brandsätze. Am Abend des 25. Januar 2013 wurde gemeldet, dass bei den Ausschreitungen landesweit bereits knapp 500 Demonstranten und Polizisten verletzt wurden. Nachrichtenagenturen berichten von neun Toten bei Feuergefechten. Insgesamt waren bis zum Samstag Nachmittag, also einen Tag später, bereits 22 Todesopfer, darunter acht in Sues, zu beklagen, die Verletztenanzahl wurde auf 700 geschätzt.

In Sues eskalierten die Ausschreitungen. So wurden das Gebäude der Partei der Muslimbrüder angezündet und der Sitz des Gouverneurs verwüstet. Auf Drängen des Sicherheitschefs der Gouvernementsregierung von Sues, Adel Refaat, rückte Militär nach Sues ein.

Politische Reaktionen

Die Machthaber scheinen die wahren Ursachen zu verdrängen. Mursi verlautbarte, es handele sich bei den Demonstrationen um eine „Konterrevolution“, die von den „Überbleibseln des Mubarak-Regimes“ gesteuert würde. Premierminister Qandil forderte beim Weltwirtschaftsforum in Davos seine Landsleute auf: „Bitte geht wieder zur Arbeit! Das ist der einzige Weg, wie ihr die Situation in eurem Land verbessern könnt.“ Aus dem Publikum kam prompt die Frage, wo die Jobs seien.

Das Oppositionsbündnis „Nationale Heilsfront“ forderte unterdessen die Regierung Mursi auf, eine „umfassende Lösung“ für eine Beilegung der politischen Krise zu finden.

Deutliche Kritik an Präsident Mursi äußerte der Friedensnobelpreisträger und frühere Direktor der Internationalen Atomenergieagentur, Mohammed el-Baradei. „Bevor der Präsident die Verantwortung für das jüngste Blutvergießen übernimmt und verspricht, eine Regierung der Nationalen Rettung und ein unabhängiges Gremium zur Abänderung der Verfassung zu bilden, ist jeder Dialog reine Zeitverschwendung“, twitterte el-Baradei.

Verkündung von Todesurteilen

Als Öl ins Feuer müssen die Gerichtsurteile eines Kairoer Gerichts gewertet werden, das am Samstag 21 Personen wegen der Ausschreitungen bei einem Fußballspiel in einem Fußballstadion in Port Said am 1. Februar 2012 zum Tode verurteilte. Bei dem Fußballspiel, bei dem die Polizei untätig blieb, wurden 74 Personen getötet (andere Quellen sprechen auch von 72 oder 79 Toten), hauptsächlich unter den Anhängern des Hauptstadtfußballclubs al-Ahly, die mittlerweile offiziell zu den „Märtyrern der Revolution“ gezählt werden. Die Anhänger des Fußballklubs gehörten zu den aktiven Teilnehmern der 25.-Januar-Revolution. Gegen 61 Anhänger des Fußballklubs al-Masry Port Said wurde Anklage wegen Mordes erhoben. Für den 9. März 2013 wurden Urteile gegen weitere Beteiligte angekündigt.

Dass das Urteil politische Sprengkraft besitzen würde, egal wie es ausfiel, sollte allen Beteiligten klar gewesen sein. Während die Urteile in Kairo mit Genugtuung aufgenommen wurden, kam es zu Protesten gegen das Urteil vor dem Gefängnis in Port Said. Es kam zu Auseinandersetzungen und Schusswechseln vor dem Gefängnis in Port Said, bei denen es 39 Tote und etwa 350 Verletzte, unter ihnen auch Polizisten, gab. Es gibt Mutmaßungen, dass diese Ausschreitungen von Geheimdienstmitarbeitern unterstützt wurden.

Präsident Mursi sagte seine Reise nach Äthiopien ab. Er schickte Militär nach Port Said. Der Nationale Verteidigungsrat trat noch am Abend zusammen, um über Lösungen zu beraten. Die Nachrichtenagentur Reuters vermeldete, dass eine nächtliche Ausgangssperre oder sogar der nationale Notstand ausgerufen werden solle. Zunächst wurden die Gewaltakte nur verurteilt, doch am Sonntagabend verhängte Präsident Mursi für die Städte Port Said, Ismailia und Sues, eine nächtliche Ausgangssperre und für 30 Tage den Ausnahmezustand.


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