Deutschland 2007 – ein Jahr der Rückrufaktionen?

Veröffentlicht: 13:33, 25. Jan. 2008 (CET)
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25.01.2008 – Wenn Verbraucher Informationen über mögliche Fehler eines gekauften Produktes erhalten möchten, so finden sie auf den Internetseiten der Europäischen Kommission Angaben zu Herkunft, Art und Umfang unsicherer oder gar gefährlicher Produkte. Wöchentlich werden dort Berichte der europäischen Schnellwarnsysteme „RASFF“ oder „RAPEX“ veröffentlicht, in denen gefährliche Lebensmittel und Konsumgüter aufgelistet sind. Dabei sind diese Produkte jedoch entweder erst gar nicht in den Handel gelangt, oder es gibt bereits freiwillige oder gar behördlich angeordnete Rückrufe von Herstellern und Händlern.

Privaten Konsumenten in Deutschland helfen diese Meldungen unter Umständen wenig, weil die Informationen in englischer Sprache verfasst sind. Zahlreiche Abkürzungen und Fachausdrücke machen es Menschen mit begrenzten Englischkenntnissen schwer, die Texte zu verstehen. Auch ist der größte Teil der Einträge für den deutschen Markt nicht relevant.

Bundesdeutsche Ministerien und Behörden veröffentlichen auch Informationen zu unsicheren Produkten. Jedoch ist jede Dienststelle nur für ihren Aufgabenbereich zuständig und die Veröffentlichungen unterscheiden sich gravierend in Stil und Inhalt. Neben teilweise schwer lesbaren Listen mit einigem „Fachchinesisch“ gibt es oft nur sehr wenige Informationen darüber, was Verbraucher mit einem unsicheren Produkt ab sofort besser lassen sollten und an wen sie sich mit Fragen dazu wenden müssen. Dabei kann es passieren, dass einige Rückrufaktionen betroffene Verbraucher erst gar nicht erreichen.

Verbraucher werden über Tageszeitungen und, je nach Brisanz der Rückrufaktion, auch über Rundfunk und Fernsehen informiert. Eine weitere Informationsquelle können Suchmaschinen sein, die nach Eingabe entsprechender Stichwörter die Nachrichtenmeldungen durchsuchen, beispielsweise „paperball.de“. Eine weitgehende Veröffentlichung aller Produktrückrufe und Sicherheitshinweise für deutsche Konsumenten findet man seit kurzem auf der Internetseite „produktrueckrufe.de“. Dort werden alle relevanten Quellen und Informationen zu unsicheren Produkten über ein Portal verknüpft und so Licht in den Informationsdschungel gebracht. Wie auf der Seite beschrieben, ist die Idee, Verbrauchern eine feste „Anlaufstelle“ zu bieten, wo alle wichtigen Fakten und Informationen zu Rückrufaktionen zentral, jederzeit und auch so lange wie nötig nachlesbar sind.

Ausländische Produktionsstätten produzieren möglichst billig, inländische Qualitätskontrollen kosten viel Geld. Sparen am falschen Ende ist wohl einer der Hauptgründe dafür, dass immer mehr unausgereifte Produkte auf den Markt kommen und sich Produktwarnungen quasi überschlagen. So wird es für Verbraucher immer wichtiger, geordnet, rechtzeitig und umfangreich über Fehlproduktionen, mögliche Gefahrenpotentiale und zu treffende Maßnahmen informiert zu sein.

Ein Rückblick vermittelt hierbei die unbedingte Notwendigkeit an permanenter Information, denn jeder Privathaushalt kann betroffen sein. Dabei ist wichtig zu wissen, dass es sich in der Regel nicht nur um „No-Name“-Produkte handelt. Eine Vielzahl betroffener Produkte ist von namhaften Herstellern oder Händlern in den Verkehr gebracht worden, bei denen man zumindest bislang eigentlich von einem intakten Qualitätsmanagement ausgegangen ist.

Lebensmittel

Neben den immer wieder vorkommenden Verseuchungen verschiedener Produkte mit Coli-Bakterien, Salmonellen und Pflanzenschutzmitteln mussten sich Verbraucher mit noch ganz anderen Gefahren auseinander setzen: Glasbruchstücke in Karottensalat und Fischkonserven, Metallsplitter oder Gummipartikel in Süßwaren, watteähnliche Fremdkörper in Mineralwasser, mit alkoholhaltigem Pilsbier vermischtes Malzbier, Natronlauge in Soja-Drinks, krebserregende polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe in Bio-Schokolade, „unerwünschte“ Keime in Baby-Anfangsnahrung, falsche Deklarierung von Inhaltsstoffen bei Diätprodukten, falsche Rezepturen mit Allergie auslösenden Zutaten, verbotene oder überdosierte Zusatzstoffe waren beispielsweise 2007 in alltäglichen Lebensmitteln vorhanden.

Arzneimittel und Medizinprodukte

Über 540 Einträge für das Jahr 2007 enthält die Datenbank des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte, in denen Rückrufe und Sicherheitshinweise für Medikamente und medizinisches Gerät publiziert werden. Auch wenn Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken und Sanitätshäuser in der Regel direkt durch die Hersteller informiert werden und ab diesem Zeitpunkt eine Verordnung/Anwendung entfallen sollte, gibt es eine ungeheure Vielzahl an Arzneimitteln, die noch in privaten Hausapotheken schlummern. Rückrufe von Hustenstiller mit dem Inhaltsstoff Clobutinol sind in Privathaushalten nur wenig bekannt, so dass dort immer noch latent die Gefahr dadurch ausgelöster Herzrhythmusstörungen besteht. Kontaktlinsenpflegemittel, die unter dem Verdacht stehen, für Erkrankungen der Augenhornhaut bis hin zur Erblindung verantwortlich zu sein, sind weiterhin in Gebrauch oder auch ab und zu noch bei Internetauktionen zu ersteigern.

Elektro- und Elektronikartikel

Diverse Elektroartikel aus dem erweiterten Sortiment eines bekannten Kaffeeversenders mit erheblichen Sicherheitsmängeln, überhitzende und schmelzende Mehrfachsteckdosen und Gratis-Taschenlampen, sich eigenmächtig einschaltende Glaskeramikkochfelder bekanntester Hersteller für Küchengeräte, brennbare Flusengitter bei Kondenstrocknern marktführender Versandhäuser sowie fehlerhafte Bauteile in Geschirrspülern, die Brände verursachen können, waren wohl die spektakulärsten Rückrufe des Jahres. Aber auch jetzt noch wird auf Fernseher und Verstärker hingewiesen, die inzwischen weit über 20 Jahre alt sind und sich plötzlich überhitzen und somit entzünden können.

Hauptproblem im Elektronikbereich sind neben überhitzenden Digitalkameras namhafter Hersteller unzählige Akkus für Notebooks und Handys. So wurden Mitte des Jahres 46 Millionen Akkus eines finnischen Handyherstellers zurückgerufen, die beim Ladevorgang überhitzen und dabei explodieren können. Auch Akkus für Werkzeuge kamen zum Jahresende in die Presse – zwar überwiegend in den Vereinigten Staaten, aber auch der deutsche Markt war und ist betroffen. Digitale Bilderrahmen eines namhaften Herstellers wurden mit Netzsteckern ausgerüstet, die sich beim Ziehen lösen und an den dann freiliegenden Kontakten einen Stromschlag auslösen können.

Spielzeug und Kinderkleidung

Mehrfach wurde Blei in Spielzeug gefunden, überwiegend in Produkten eines weltweit tätigen Spielwarenkonzerns. Zahlreiche Spielzeuge mit verschluckbaren Kleinteilen, die zu Erstickung führen können, wurden zurückgerufen, darunter Babytragen, die gefährliche Quetschungen herbeiführen können. Kleine bunte Kugeln, die mit Wasser benetzt zu Kunstwerken fixiert werden können, haben sich beim Verschlucken durch Kleinkinder in gefährliche Drogen verwandelt, wodurch in fernen Kontinenten einige Kinder ins Koma fielen. Zudem stehen die Kugeln in Verruf, tödlich zu sein. Heizstrahler für den Baby-Wickeltisch, bei denen der Heizstab unter gewissen Voraussetzungen zum punktuellen Abtropfen neigt und so schwere Brandverletzungen verursachen kann, wurden im vergangenen Jahr auch zurückgerufen.

Zuletzt waren es verbotene Farbstoffe in Kinderjeans, die geringe Mengen von so genannten aromatischen Aminen freisetzen und als solche krebserregend sein können. Auch waren Babylätzchen mit zu hohem Bleigehalt auf dem Markt, die vor dem Rückruf tausendfach verkauft wurden.

Sportartikel

Sportschützen, Radsportler, Bergsteiger und Taucher kamen dieses Jahr mehrfach „vom Regen in die Traufe“. Bei Alu-Druckluftkartuschen für Luftgewehre konnten sich während einer Wiederbefüllung mit Pressluft Teile lösen, was einer Explosion gleich kam. Teuerste Fahrräder wiesen bei Rahmen, Lenkern und Sattelstützen teilweise so erhebliche Sicherheitsmängel auf, dass einige Hersteller oder Importeure wegen schwerer Stürze um einen Rückruf nicht umhin kamen. Klettersteigsets mit verdrehten Bremsseilen sowie Steigeisen mit Materialfehlern könnten Bergsteiger in lebensbedrohliche Situationen manövrieren. Defekte Tauchcomputer sowie mehrfach defekte Atemregler, zuletzt eine Taucherjacke mit fehlerhafter „Bänderung“ könnten Taucher in Extremgefahren bringen. Fahrradhandschuhe, die in Pakistan hergestellt wurden, enthielten krebserregende Inhaltsstoffe.

Kraftfahrzeuge

Die Anzahl der diesjährigen Rückrufaktionen für Kraftfahrzeuge wird das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erst im noch folgenden Jahresbericht 2007 preisgeben. Fest steht jedoch bereits jetzt, dass sich die Zahl der Rückrufe seit 1993 fast verfünffacht hat. 2006 war mit 167 Rückrufen das rückrufreichste Jahr, wobei 70 Prozent der Probleme auf die Mechanik und sieben Prozent der Fälle auf elektronische Mängel zurückzuführen waren. Diese Rückrufaktionen finden meist ohne großes Aufheben statt, da mit Hilfe vom KBA bereitgestellter Anschriften eine gezielte Adressierung betroffener Halter erfolgen konnte. Einen umfassenden Einblick erhält man meist nur über Auswertung entsprechender Autozeitschriften. Die Größenordnungen dabei sind mehr als bedenklich. Zuletzt hat ein amerikanischer Autohersteller weltweit mehr als 570.000 Autos in die Werkstätten gerufen, da sich einige Fahrzeuge trotz Parkstellung ungewollt in Bewegung setzten. In Italien wurden bei mehreren Automarken rund 32 Kilometer fehlerhafte Bremsschläuche verbaut.

Sonstiges

Ebenfalls zurückgerufen wurden Matratzen mit erhöhten zinn- und phosphororganischen Verbindungen, verunreinigtes Duschgel mit möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, scharfkantige Kameragehäuse, die Schnittverletzungen verursachen können, Dachbalkone, bei denen sich auf Grund fehlerhafter Schrauben Geländer lösen und Abstürze zur Folge haben können, glatte Badewannen, die zu schweren Stürzen und dabei zu Materialbrüchen mit erheblichen Schnittverletzungen führen können, undichte Gasleitungen bei Heizgeräten und Kühlgeräten, die Explosionen verursachen können.

Fazit

In einer zusammenfassenden Auswertung vieler Quellen ist festzustellen, dass es sich im Jahr 2007 alleine in Deutschland um hunderte gefährlicher Produkte mit mehreren Millionen Exemplaren gehandelt hat. Der Erfolg von Rückrufen und Sicherheitshinweisen ist häufig eher bescheiden. Einem Bericht des Nachrichtenmagazins FOCUS zu Folge sind beispielsweise in Deutschland von 1,1 Millionen im August zurückgerufenen Spielzeugprodukten bis Ende Oktober 2007 weniger als 20.000 (unter zwei Prozent) zurückgegeben worden – trotz kostenlosen Austauschs. Gemäß dem Bericht ist jedoch erst ein Produktrücklauf von 20 Prozent als Erfolg zu werten; 80 Prozent der betroffenen Verbraucher haben also offensichtlich die fehlerhaften Produkte nicht zurückgegeben.

Verbraucherschützer fordern gesetzliche Vorgaben, in welcher Form, wo und wie lange ein Produktrückruf publiziert werden muss. Da es in Deutschland bislang keine offizielle Einrichtung gibt, die einen Gesamtüberblick über alle Sicherheitsmaßnahmen hat und publiziert, ist eine Verknüpfung aller relevanten Informationen in einem zentralen Internetportal ein Schritt hin zu mehr Transparenz und Übersichtlichkeit. Ein Archiv, dass Rückrufe und Sicherheitshinweise über einen langen Zeitraum auflistet, würde es Verbrauchern langfristig ermöglichen, gekaufte Artikel auch rückblickend auf Fehlerhaftigkeit hin zu überprüfen.

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Quellen