Delmenhorster Hotelstreit: „Fünf Zentimeter vor der Ziellinie“

Artikelstatus: Fertig 12:51, 5. Dez. 2006 (CET)
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Delmenhorst (Deutschland), 05.12.2006 – Der Streit um den Verkauf eines Delmenhorster Hotels an einen der rechten Szene zugerechneten Anwalt in Delmenhorst nähert sich seinem Ende. Dies wurde auf einer Bürgerversammlung deutlich, die gestern stattfand, um über die Frage nach der Zukunft des Hotels zu beraten, dessen Ankauf durch die Stadt nur durch fast eine Million Euro an Spendengeldern von Delmenhorster Bürgern nun bald möglich zu werden scheint. Der Kauf durch die Stadt Delmenhorst soll den Plänen des Anwalts Jürgen Rieger zuvorkommen, das Hotel als Schulungs- und Tagungszentrum der rechten Szene zu etablieren.

Der Delmenhorster Oberbürgermeister Patrick de La Lanne (SPD) beschrieb den Kampf und die Verhandlungen um den Kauf des Delmenhorster „Hotels am Stadtpark“, der sich bereits seit dem Sommer dieses Jahres hinzieht, mit der Metapher „Marathon“ und kennzeichnete, in diesem Bild bleibend, den Stand der Verhandlungen mit den Worten: „Fünf Zentimeter vor der Ziellinie“. Das war die Kernaussage der Bürgerversammlung, zu der die Delmenhorster Bürgerinitiative „Forum gegen rechts“ am gestrigen Abend unter dem Motto „Was wird aus dem Hotel?“ in die „Delmeburg“ in unmittelbarer Nachbarschaft des Hotels geladen hatte.

Eröffnung der Versammlung durch einen Sprecher des „Forums gegen rechts“

Durch einen Film über den demokratischen Widerstand – die Demonstrationen, Unterschriftensammlungen und Kundgebungen, die in diesem Sommer in der kleinen Stadt an der Delme stattgefunden hatten – wurde den Versammelten noch einmal die ungewöhnliche Mobilisierung der Delmenhorster Bürger gegen Neonazismus und Fremdenfeindlichkeit vor Augen geführt. Ziel ihres Kampfes war und ist die Verhinderung des Ankaufes des genannten Hotels in zentraler Lage in der Nähe des Rathauses durch den rechtsextremistischen Anwalt Jürgen Rieger zu Schulungszwecken und Versammlungen rechtsextremistischer Gruppierungen einschließlich der NPD. Dieser Kampf gegen eine „Neonazi-Schule“, wie auf Transparenten zu lesen gewesen war, wurde in diesem Sommer zu einer Massenbewegung, die nicht nur bundesweit, sondern sogar international Aufmerksamkeit erregt hatte. Ein Vertreter des Delmenhorster Treuhandfonds, der die gesammelten Spendengelder Delmenhorster Bürger verwaltet, wies darauf hin, dass sogar ein Fernsehteam der BBC in Delmenhorst gedreht hatte und dass landesweit die Medien eine sehr positive Rolle im Sinne des Widerstandes gegen ein neonazistisches Schulungszentrum in Delmenhorst gespielt hatten. Am gestrigen Abend wurde der Stand der Spendensammlung mit 935.000 Euro beziffert. Die Verhandlungsangebot der Stadt für den Ankauf des Hotels liegt bei drei Millionen Euro. Das Differenzbetrag zwischen der Spendensammlung und dem angebotenen Kaufpreis wird durch die Stadt sowie die „Gemeinnützige Siedlungsgesellschaft“ (GSG) aufgebracht. Insgesamt haben sich nach seinen Worten über 250 Organisationen durch ihre Mitgliedschaft in dieser Initiative direkt an der Spendensammlung beteiligt, darunter 16 Bundestagsabgeordnete, kirchliche und gewerkschaftliche Organisationen, viele Ratsmitglieder und Bürgermeister der Stadt, die Bundestagsfraktion der Linken und viele weitere politische und Freizeitorganisationen sowie Vereine.

Ansprache des Oberbürgermeisters

Oberbürgermeister Patrick de La Lanne hatte als erster Redner des Abends fünf gesellschaftliche Säulen des politischen Widerstandes gegen den Hotelankauf durch den Rechtsanwalt Rieger und seine Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Ltd. unterschieden: Erstens die Bürgerbewegung, die ihren politischen Willen in den Demonstrationen dieses Jahres zum Ausdruck gebracht hatte; zweitens den Rat der Stadt Delmenhorst, der mit seinem einstimmigen Beschluss über den Ankauf des Hotels sowie den Beschluss, das Gebiet in der Stadtmitte, auf dem auch das Hotel steht, zum Sanierungsgebiet zu erklären, die Voraussetzungen für eine starke Verhandlungsposition der Stadt geschaffen hatte; drittens die örtliche und überregionale Presse, die durch ihre Berichterstattung der Widerstandsbewegung den Rücken gestärkt hatten; viertens das „Forum gegen Rechts“, das die Aktionen organisiert und vorangetrieben hatte, sowie fünftens die Polizei und Staatsorgane, die auf ihre Weise zur Absicherung der demokratischen Bewegung beigetragen hätten. Er bedankte sich ausdrücklich auch für die Arbeit seines Amtsvorgängers, des ehemaligen Oberbürgermeisters Carsten Schwettmann (CDU), der eine positive Rolle in der Auseinandersetzung um das Hotel gespielt habe. Die Delmenhorster Bürger insgesamt forderte er auf, sich durch Vorschläge und tatkräftige Mitarbeit an der Beantwortung der Frage zu beteiligen: „Was soll aus dem Hotel werden?“

Über diese Fragen entfaltete sich anschließend eine lebhafte Diskussion, die insbesondere um die Frage der organisatorischen Formen einer möglichen Bürgerbeteiligung kreiste. Die Idee eines Projektbeirats bei der GSG wird erwogen, dem nach bisherigen, noch nicht abgeschlossenen Überlegungen fünf Delmenhorster Bürger aus unterschiedlichen Schichten der Stadt angehören sollen.

In einem Beitrag des Geschäftsführers der GSG, Stefan Ludwig, wurde kurz der Stand der Verhandlungen mit dem Hotelbesitzer Mergel skizziert. Ludwig sagte jedoch, dass er mit dem Verhandlungspartner vereinbart habe, sich über Details der Verhandlungen nicht zu äußern. Er konnte aber bestätigen, dass die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss stünden. Einige Einzelfragen müssten jedoch noch geklärt werden. Insgesamt äußerte er sich optimistisch über die Erfolgsaussichten der Kaufverhandlungen. Bürgermeister de La Lanne hatte noch einmal betont, dass sich die Stadt nicht auf irgendwelche juristischen Spitzfindigkeiten wie den Erwerb von Mehrheitsrechten einer Beteiligungsgesellschaft am Hotel einlassen werde. Für die Stadt komme nur ein direkter Kauf in Frage.

Die nächste Bürgerversammlung ist für den 18. Dezember wahrscheinlich am gleichen Ort geplant. Die Einladung werde wieder über die Presse erfolgen.

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Quellen

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