Falsche Informationen der Polizei zu den Ausschreitungen bei der Großdemonstration gegen Stuttgart 21

Veröffentlicht: 16:46, 22. Okt. 2010 (CEST)
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Stuttgart (Deutschland), 22.10.2010 – Fehlinformationen der Polizei zum umstrittenen Einsatz bei der Großdemonstration gegen das Projekt Stuttgart 21 am 30. September kamen jüngst ans Tageslicht. Schon die Aussage einer Sprecherin des baden-württembergischen Innenministeriums am selben Tag, wonach „die Einsatzkräfte […] mit Pflastersteinen angegriffen worden“ seien, ließ sich nicht halten, sodass sie noch in der Nacht zurückgenommen wurde. Trotzdem vertrat Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) zunächst hartnäckig die Auffassung, dass die Schuld allein bei den Demonstranten liege.

Stefan Mappus: Welche Rolle spielten er und seine Landesregierung beim umstrittenen Polizeieinsatz gegen die Demonstranten am 30. September?

Doch selbst das entspricht nach neuesten Erkenntnissen nicht der Wahrheit. Auf ihrer Homepage versucht die Stuttgarter Polizei den Eindruck zu erwecken, dass ihr Vorgehen eine Reaktion auf das Verhalten der Demonstrationsteilnehmer gewesen sei; die Zeitangaben auf den Videos hatte sie hierzu geschwärzt. Woanders tauchten die Videos jedoch mit den jeweiligen Uhrzeiten auf, die diese Darstellung von offizieller Seite unglaubwürdig erscheinen lassen. Bernhard Rogoll, ehemaliger Polizist, kommentiert die Geschehnisse wie folgt: „Es ist keinerlei Rechtfertigungsgrund und auch außerhalb jeder Verhältnismäßigkeit, so massiv gegen friedliche Demonstranten vorzugehen.“

Zudem ist auf Videos dokumentiert, wie Polizisten mit Schlagstöcken auf die Demonstrierenden losgehen. Ebenso stellt sich die Frage, warum der Einsatz ausgerechnet am Tag einer Schülerdemonstration stattfand und warum die Polizei keinen anderen Zeitpunkt gewählt habe, um die entsprechenden Flächen abzusperren. Siegfried Stumpf, Stuttgarter Polizeipräsident, behauptet dazu: „Wir haben nicht um sechs Uhr morgens angefangen, weil sie mit den ganzen Maßnahmen in den Berufsverkehr hineinkommen.“ Letzterer ist zu dem fraglichen Zeitpunkt jedoch nur sehr schwach, wie das Magazin Monitor vor Ort herausfand. Dies legt den Schluss nahe, dass man es von staatlicher Seite bewusst hatte drauf ankommen lassen. „Das alles ist keine typische polizeiliche Strategie gewesen für vergleichbare Fälle, sondern es ist eine Strategie gewesen, die von Anfang an auf Konfrontation, durchaus auch auf Gewalt angelegt gewesen ist.“ so der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes.

Darüber hinaus schrieb ein anonymer Informant aus Polizeikreisen zwei Tage vor der Demonstration an die Landtagsfraktionen von SPD und GRÜNEN, wonach ein härteres Vorgehen von vornherein geplant gewesen war; Experten halten dieses Dokument für authentisch. Stumpf behauptet, nur er selbst trage die Verantwortung „und sonst niemand“. Die Politik sei nicht im Spiel gewesen. Günther Rathgeb, früherer Polizeidirektor in der Landeshauptstadt, hat daran jedoch Zweifel: „Der Stumpf, den kenne ich seit ca. 35 Jahren, er war mein Einsatzreferent. Er hat mit entscheidend die Stuttgarter Linie "geprägt", die angelegt ist auf Deeskalation, auf Berechenbarkeit. Es muss irgendein Druck bestanden haben auf ihn, oder eine Zielvorstellung, die niemand kennt. Unter Umständen auch eine Weisung - wie auch immer, das weiß ich nicht, will ich auch nicht unterstellen. Aber irgendetwas muss gewesen sein, dass der Stumpf so atypisch - für ihn so atypisch - reagiert hat an diesem Donnerstagmorgen.“

Monitor geht davon aus, dass Mappus sich anlässlich des bevorstehenden Landtagswahlkampfs ein Image als „Law-and-order-Mann“ aufbauen will, um das konservative Lager zu mobilisieren, da eine Wahlniederlage und ein damit einhergehendes Scheitern von Stuttgart 21 auch die Bundes-CDU unter Druck setzen würde.

Thomas Mohr von der Gewerkschaft der Polizei, der am 30. September vor Ort war und sich dem Magazin gegenüber kritisch geäußert hatte, hat deshalb inzwischen mit einem Disziplinarverfahren zu kämpfen. „Weil er offenbar Art und Umfang des Polizeieinsatzes in Stuttgart kritisierte. Freie Meinungsäußerung? Ja was denn sonst!“ so der sarkastische Kommentar von Moderatorin Sonia Mikich.

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